09.06.2011 Wirtschaftsrecht

VwGH: § 79 Abs 3 BVergG 2006 nF - Wahlfreiheit zwischen dem Billigstbieter- und dem Bestbieterprinzip?

§ 79 Abs 3 BVergG 2006 nF schreibt einerseits nicht abstrakt und allgemein ein Zuschlagsprinzip für bestimmte Arten von Vergabeverfahren vor und belässt andererseits dem Auftraggeber grundsätzlich die Wahlfreiheit zwischen dem Billigstbieter- und dem Bestbieterprinzip, wobei das Billigstbieterprinzip lediglich an die gesetzliche Voraussetzung geknüpft wird, dass der Qualitätsstandard der Leistung in der Ausschreibung klar und eindeutig definiert ist


Schlagworte: Vergaberecht, Inhalt der Ausschreibungsunterlagen, Billigstbieterprinzip, Bestbieterprinzip, Wahlfreiheit
Gesetze:

§ 79 Abs 3 BVergG 2006 nF

GZ 2008/04/0104, 14.04.2011

 

Punkt 1.22 der Ausschreibungsunterlagen lautet:

 

„Es gibt das Billigstbieterprinzip. Begründung: Es werden nur Angebote von in Österreich zugelassenen Impfstoffen akzeptiert. Mit der Zulassung ist die Eignung des Impfstoffes nachgewiesen, daher sind qualitative Unterschiede für den Auftraggeber nicht von Relevanz.

 

Für den Preisvergleich wird folgender Preis herangezogen: Der Gesamtpreis laut Angebot auf dem Preisblatt (Impfstoff und allfälliger Preis für die Distribution zu den Abgabestellen) für die Immunisierung von 30.000 Kindern zuzüglich eines Betrages von 12,50 Euro, das entspricht den durchschnittlichen Administrationskosten pro Impfung (Arzthonoraren und Verteilung von den Abgabestellen zu den Ärzten), pro benötigter Teilimpfung laut Gebrauchsinformation."

 

Die Bf vertritt die Ansicht, § 80 Abs 3 BVergG 2006 aF (§79 Abs 3 nF) eröffne dem Auftraggeber keine freie Wahlmöglichkeit hinsichtlich des Zuschlagsprinzips, sondern gehe vorrangig vom Bestbieterprinzip aus. Nur im Falle eines klaren und eindeutig definierten Qualitätsstandards könne der Auftraggeber das Billigstbieterprinzip wählen.

 

VwGH: Aus Art 53 Abs 1 der Richtlinie 2004/18/EG ist ersichtlich, dass das Unionsrecht die prinzipielle Wahlmöglichkeit zwischen dem Bestbieterprinzip und dem Billigstbieterprinzip vorsieht. Der EuGH hat im Urteil vom 7. Oktober 2004, Rs C-247/02, Sintesi SpA, zur vergleichbaren Vorgängerbestimmung (Art 30 der Richtlinie 93/37/EWG) ausgesprochen, dass diese einer nationalen Regelung entgegensteht, die den öffentlichen Auftraggebern für die Vergabe von öffentlichen Bauaufträgen im Anschluss an ein offenes oder nicht offenes Ausschreibungsverfahren abstrakt und allgemein vorschreibt, nur das Kriterium des niedrigsten Preises anzuwenden. Dies hat der EuGH damit begründet, dass in einem solchen Fall den öffentlichen Auftraggebern die Möglichkeit genommen werde, die Art und die Besonderheiten derartiger Aufträge im Einzelnen zu berücksichtigen, indem sie für jeden von ihnen das Kriterium wählen, das am besten geeignet ist, den freien Wettbewerb zu sichern und so die Auswahl des besten Angebots zu gewährleisten. Der EuGH hatte aber keine Bedenken gegen eine nationale Vorschrift, die die Wahlfreiheit der öffentlichen Auftraggeber hinsichtlich der Zuschlagskriterien beschränkt, sofern die Auftraggeber dadurch nicht gehindert werden, verschiedene Angebote zu vergleichen und nach einem vorher festgelegten objektiven Kriterium das beste Angebot auszuwählen.

 

Vor diesem Hintergrund ist § 80 Abs 3 BVergG 2006 aF unbedenklich, weil diese Bestimmung einerseits nicht abstrakt und allgemein ein Zuschlagsprinzip für bestimmte Arten von Vergabeverfahren vorschreibt und andererseits dem Auftraggeber grundsätzlich die Wahlfreiheit zwischen dem Billigstbieter- und dem Bestbieterprinzip belässt, wobei das Billigstbieterprinzip lediglich an die gesetzliche Voraussetzung geknüpft wird, dass der Qualitätsstandard der Leistung in der Ausschreibung klar und eindeutig definiert ist.

 

Im vorliegenden Beschwerdefall hat die Auftraggeberin in der Ausschreibung als Qualitätserfordernis des Impfstoffes dessen Zulassung in Österreich verlangt. Gem § 7 ArzneimittelG, BGBl Nr 185/1983 in der hier maßgebenden Fassung BGBl I Nr 153/2005, dürfen Arzneispezialitäten im Inland erst abgegeben oder für die Abgabe im Inland bereitgehalten werden, wenn sie vom Bundesamt für Sicherheit und Gesundheitswesen zugelassen sind, es sei denn, es handelt sich (Z 1) um zugelassene Arzneispezialitäten gem der Verordnung (EG) Nr 726/2004. Daher ersetzt die Zulassung nach der genannten Verordnung die nationale Zulassung der Arzneispezialität. Im Beschwerdefall ist unstrittig, dass der gegenständliche Impfstoff einer Zulassung iSd letztgenannten Verordnung unterliegt. Da ein Impfstoff, was die behördliche Zulassung betrifft, nur entweder zugelassen oder nicht zugelassen sein kann, hat die Auftraggeberin einen eindeutigen und klar definierten Qualitätsstandard vorgegeben, wenn sie in der Ausschreibung auf das Vorliegen der Zulassung abgestellt hat.

 

Davon zu unterscheiden ist die in der Beschwerde angesprochene Frage, ob es für Impfstoffe höhere Qualitätsstandards gibt, als in der Ausschreibung mit dem Kriterium der Zulassung verlangt wird. Mit dem Beschwerdevorbringen, die (bloße) Zulassung des Impfstoffes sei noch kein ausreichendes Qualitätskriterium, sodass in der Ausschreibung auf weitere Qualitätsmerkmale wie die rasche Wirksamkeit des Impfstoffes und dessen Schutzdauer hätte abgestellt werden müssen, wendet sich die Beschwerde aber nicht gegen die hier maßgebende Klarheit und Eindeutigkeit des gewählten Qualitätsstandards, sondern zielt darauf ab, dass die erteilte Zulassung noch keine - hinreichende - Qualität gewährleiste.

 

Damit übersieht die Bf, dass es grundsätzlich Sache des Auftraggebers ist, die Höhe der von ihm verlangten Qualität zu fordern. So hat der VwGH bereits wiederholt ausgesprochen, dass es Sache des Auftraggebers ist, welche Leistung er verlangt, soweit er dabei das Gebot der Gleichbehandlung und der Nichtdiskriminierung beachtet.

 

Auch in den Erläuterungen zu § 80 BVergG 2006 aF wird ausgeführt, dass der im Falle des Billigstbieterprinzips klar und eindeutig festzulegende Qualitätsstandard ein Mindeststandard ist, dessen Überschreitung seitens des Unternehmers möglich und zulässig ist.

 

Daher hegt der VwGH keine Bedenken dagegen, dass in der gegenständlichen Ausschreibung durch die verlangte behördliche Zulassung der zu liefernden Ware ein klarer und eindeutig definierter Qualitätsstandard iSd § 80 Abs 3 BVergG 2006 aF festgelegt wurde.

 

Zur Einbeziehung der sog Distributions- bzw Administrationskosten:

 

Die Bf wendet weiters ein, das Billigstbieterprinzip sei im vorliegenden Fall auch deshalb unzulässig, weil nach den zitierten Bestimmungen der Ausschreibung auch die Höhe der sog Distributionskosten (nach der Ausschreibung: Administrationskosten) für den niedrigsten Preis und damit für die Zuschlagsentscheidung herangezogen werden soll. Diese Distributionskosten würden dem anzubietenden Preis hinzugerechnet und seien abhängig von der Anzahl der Teilimpfungen laut Gebrauchsinformation. Die Anzahl der benötigten Teilimpfungen sei bei den beiden am Markt befindlichen Impfstoffen jedoch unterschiedlich: So sei beim Impfstoff der Bf die Verabreichung von drei Dosen notwendig, beim Impfstoff der Mitbewerberin hingegen bloß zwei Dosen erforderlich. Damit liege das Zuschlagskriterium nicht allein im angebotenen Preis, vielmehr würden durch die Distributionskosten auch Folgekosten in die Bewertung der Angebote einfließen, was nach den Materialien zum BVergG 2006 unzulässig sei.

 

Richtig ist, dass sich der Gesamtpreis nach der wiedergegebenen Ausschreibungsbestimmung Punkt 1.22 einerseits aus dem Preis für die Immunisierung von 30.000 Kindern und andererseits aus einem Betrag, der sich nach der Anzahl der benötigten Teilimpfungen laut Gebrauchsinformation bestimmt (konkret EUR 12,50 multipliziert mit der Anzahl der benötigten Teilimpfungen), ergibt.

 

Die belangte Behörde hat dazu lediglich ausgeführt, dass die Distributionskosten nicht vom Bieter zu tragen seien, sondern lediglich dazu dienten, die Gesamtkosten des Impfprogrammes vergleichbar zu machen.

 

Damit übersieht die belangte Behörde, dass durch die Einbeziehung der genannten Distributionskosten in den Gesamtpreis ein Faktor Bedeutung erlangt, der die erforderliche Anzahl an Teilimpfungen widerspiegelt. Mit den Distributionskosten wird daher im vorliegenden Fall ein Qualitätskriterium - nämlich die für die Herstellung des Impfschutzes erforderliche Anzahl an Teilimpfungen - in die Zuschlagskriterien einbezogen. Daran ändert nichts, dass dieses Qualitätskriterium nach der Ausschreibung in Form von Kosten (konkret durch Folgekosten für die Verabreichung der jeweiligen (Teil-)Impfungen durch den Arzt samt Zulieferung des Impfstoffes zum Arzt) zum Ausdruck gebracht werden soll.

 

Dem in der Ausschreibung genannten Billigstbieterprinzip steht daher im vorliegenden Fall entgegen, dass die Zuschlagsentscheidung in Wahrheit nicht ausschließlich nach dem niedrigsten Preis erfolgen soll, sondern auch durch ein Qualitätsmerkmal des zu liefernden Impfstoffes bestimmt wird.

 

Außerdem werden durch dieses Qualitätsmerkmal Folgekosten in die Zuschlagskriterien einbezogen, deren Berücksichtigung im Rahmen des Billigstbieterprinzips - bei diesem ist ausschließlich auf den niedrigsten Preis abzustellen - keinen Platz findet (vgl auch dazu die bereits erwähnten Erläuterungen zu § 80 BVergG 2006, nach denen das Billigstbieterprinzip, bei dem "allein der Preis relevant ist", nicht zulässig ist, wenn Folgekosten, wie Betriebs- und Erhaltungskosten sowie kostenmäßige Auswirkungen auf andere, in inhaltlichem Zusammenhang stehende Leistungen, ein Zuschlagskriterium darstellen sollen).