16.06.2011 Verfahrensrecht

VwGH: Wiedereinsetzung - Verschulden von Kanzleikräften und Kontrollpflicht des Rechtsanwalts

Rein mechanische Vorgänge, wie etwa das Kuvertieren oder die Postaufgabe, kann der Vertreter zwar der alleinigen Erledigung der Kanzlei überlassen; dies setzt aber voraus, dass auf Grund eindeutiger Anordnung (va einem Beilagen- oder Gleichschriftenvermerk) klargestellt ist, welche Schriftstücke zu kuvertieren sind


Schlagworte: Wiedereinsetzung, Verschulden von Kanzleikräften, Kontrollpflicht des Rechtsanwalts, rein mechanische Vorgänge
Gesetze:

§ 46 Abs 1 VwGG, § 71 AVG

GZ 2010/15/0137, 23.09.2010

 

VwGH: Ein dem berufsmäßigen Parteienvertreter widerfahrenes Ereignis ist für die Partei nur dann ein Wiedereinsetzungsgrund, wenn dieses Ereignis für den Vertreter selbst unvorhergesehen oder unabwendbar war. Ein Verschulden des Vertreters, das über den minderen Grad des Versehens hinausgeht, schließt die Wiedereinsetzung in den vorigen Stand aus. Das Verschulden von Kanzleikräften stellt für den Vertreter dann ein unvorhergesehenes oder unabwendbares Ereignis dar, wenn der Vertreter der ihm zumutbaren und nach der Sachlage gebotenen Überwachungspflicht gegenüber seinen Kanzleikräften nachgekommen ist. Der Vertreter muss seine Kanzlei so organisieren, dass die richtige und fristgerechte Erledigung von gerichtlichen Aufträgen sichergestellt ist. Dabei wird durch entsprechende Kontrolle dafür vorzusorgen sein, dass Unzulänglichkeiten durch menschliches Versagen aller Voraussicht nach auszuschließen sind. Der Vertreter verstößt demnach auch dann gegen die ihm obliegende Sorgfaltspflicht, wenn er weder im Allgemeinen noch im Besonderen (wirksame) Kontrollsysteme vorgesehen hat, die im Fall des Versagens einer Kanzleikraft Fristversäumungen auszuschließen geeignet sind.

 

Rein mechanische Vorgänge, wie etwa das Kuvertieren oder die Postaufgabe, kann der Vertreter zwar der alleinigen Erledigung der Kanzlei überlassen. Dies setzt aber voraus, dass auf Grund eindeutiger Anordnung (va einem Beilagen- oder Gleichschriftenvermerk) klargestellt ist, welche Schriftstücke zu kuvertieren sind. Erfolgt keine solche Anordnung, wird ausnahmsweise auch eine Kontrollpflicht des Vertreters über einfache Verrichtungen wie die Kuvertierung eines Verbesserungsschriftsatzes ausgelöst.