20.07.2011 Verkehrsrecht

VwGH: Sonderfälle der Entziehung der Lenkberechtigung gem § 26 FSG – zum Ausmaß der Entziehungsdauer (hier: iZm wiederholter Alkoholdelikte)

Die in § 26 Abs 1 und 2 FSG normierten Mindestentziehungszeiten stehen dem Ausspruch einer Entziehung für einen längeren Zeitraum jedenfalls dann nicht entgegen, wenn Umstände vorliegen, die auf Grund der Verwerflichkeit und Gefährlichkeit der strafbaren Handlung die Prognose der Verkehrsunzuverlässigkeit für einen über die Mindestentziehungszeit hinausreichenden Zeitraum rechtfertigen und somit die Festsetzung einer längeren Entziehungsdauer erforderlich machen


Schlagworte: Führerscheinrecht, Entziehung der Lenkberechtigung, Sonderfälle, Alkoholdelikte, Wiederholungstäter, Ausmaß der Entziehungsdauer
Gesetze:

§ 26 FSG, § 25 Abs 3 FSG, § 24 FSG, § 7 FSG, § 99 StVO

GZ 2011/11/0039, 29.03.2011

 

VwGH: Nach stRsp des VwGH stehen die in § 26 Abs 1 und 2 FSG normierten Mindestentziehungszeiten dem Ausspruch einer Entziehung für einen längeren Zeitraum jedenfalls dann nicht entgegen, wenn Umstände vorliegen, die auf Grund der Verwerflichkeit und Gefährlichkeit der strafbaren Handlung die Prognose der Verkehrsunzuverlässigkeit für einen über die Mindestentziehungszeit hinausreichenden Zeitraum rechtfertigen und somit die Festsetzung einer längeren Entziehungsdauer erforderlich machen. Die Festsetzung einer über die Mindestzeit des § 26 FSG hinausreichenden Entziehungsdauer hat nach der allgemeinen Regel des § 25 Abs 3 FSG zu erfolgen, dh die Behörde darf über eine solche Mindestentziehungszeit nur insoweit hinausgehen, als der Betreffende für einen die Mindestentziehungsdauer überschreitenden Zeitraum verkehrsunzuverlässig ist. Diese Judikatur des VwGH ist auf die durch die Novelle BGBl I Nr 93/2009 bewirkte Neufassung von Mindestentziehungszeiten für Alkoholdelikte zu übertragen.

 

Für den Beschwerdefall folgt daraus, dass sich die mit dem angefochtenen Bescheid bestätigte Dauer der Entziehung - 19 Monate ab der vorläufigen Abnahme des Führerscheines - nur dann als rechtmäßig erweisen kann, wenn Umstände vorlagen, die, sei es auf Grund der Verwerflichkeit und Gefährlichkeit der strafbaren Handlung, sei es aufgrund des bisherigen Verhaltens des Bf, die Prognose der Verkehrsunzuverlässigkeit für einen über die Mindestentziehungszeit hinausreichenden Zeitraum rechtfertigen und somit die Festsetzung einer längeren Entziehungsdauer erforderlich machen.

 

Die belangte Behörde hat als solche Umstände einerseits die Gefährlichkeit der Verhältnisse beim Vorfall am 16. August 2010 gewertet, andererseits aber, dass der Bf nicht bloß einmal, sondern bereits wiederholt innerhalb eines Zeitraumes von fünf Jahren vor dem nunmehr zu beurteilenden Vorfall eine Übertretung gem § 99 Abs 1 StVO begangen hat, wobei er bei der zweiten Übertretung überdies trotz entzogener Lenkberechtigung ein Kfz gelenkt hat. Die Einbeziehung dieser Umstände unter dem Gesichtspunkt der Verwerflichkeit und Gefährlichkeit der strafbaren Handlung in die Bemessung der Entziehungsdauer begegnet entgegen der Auffassung der Bf, der ein Überschreiten der Mindestentziehungsdauer für rechtswidrig hält, keinen Bedenken.

 

Der VwGH hatte sich in seiner bisherigen Judikatur, soweit ersichtlich, noch nicht mit einer dem Beschwerdefall völlig gleichgelagerten Konstellation, in der nach zwei Übertretungen des § 99 Abs 1 StVO, mithin zwei "schweren" Alkoholdelikten, ein Delikt nach § 99 Abs 1b StVO begangen wurde und die zulässige Dauer der Entziehung der Lenkberechtigung zu beurteilen war.

 

Dem Erkenntnis vom 20. März 2001, 2000/11/0089, lag eine Konstellation zugrunde, bei der dem Betreffenden nach Begehung einer Übertretung des § 99 Abs 1a StVO ("mittleres" Alkoholdelikt; Alkoholgehalt der Atemluft 0,63 mg/l) die Lenkberechtigung für die Dauer von 24 Monaten entzogen worden war (was der Annahme einer Dauer der Verkehrsunzuverlässigkeit von 24,5 Monaten entsprach). Der Betreffende hatte bereits mehr als sieben Jahre vor dem letzten Vorfall eine Übertretung des § 99 Abs 1a StVO (Alkoholgehalt der Atemluft 0,68 mg/l) begangen, weshalb ihm die Lenkerberechtigung für vier Wochen entzogen worden war, und überdies fünf Jahre vor dem letzten Vorfall eine Übertretung des § 99 Abs 1 lit a StVO begangen (Alkoholgehalt des Blutes 1,53 Promille), wobei er einen Verkehrsunfall verschuldet hatte, weshalb ihm die Lenkerberechtigung für die Dauer von 15 Monaten entzogen worden war. Der VwGH hielt die Entziehungsdauer von 24 Monaten für unbedenklich, wobei er betonte, dass der Betreffende in Ansehung von Alkoholdelikten ein Wiederholungstäter sei und ihn auch die bereits zweimalige Entziehung der Lenkerberechtigung nicht davon habe abhalten können, neuerlich ein Alkoholdelikt zu begehen, wobei erneut der Alkoholisierungsgrad nicht unbeträchtlich gewesen sei. Bei der Wertung sei auch der vom Bf erwähnte Verkehrsunfall einzubeziehen.

 

Vergleicht man die Konstellation, die diesem hg Erkenntnis zugrundeliegt, mit der des nunmehrigen Beschwerdefalles, so ist nicht zu übersehen, dass der Bf zuletzt nicht eine Übertretung des § 99 Abs 1a, sondern (nur) des § 99 Abs 1b StVO zu verantworten hat. Dieser Umstand fällt allerdings insoferne nicht entscheidend ins Gewicht, als der Alkoholisierungsgrad des Bf am 16. August 2010 bereits nahe an der Untergrenze des "mittleren" Alkoholdeliktes gem § 99 Abs 1a StVO (Alkoholgehalt der Atemluft 0,6 mg/l oder mehr, aber weniger als 0,8 mg/l) lag. Ebenso ist zu beachten, dass der Bf anlässlich seiner früheren Alkoholdelikte keinen Verkehrsunfall verschuldet hat. Andererseits fallen dem Bf bereits zwei "schwere" Alkoholdelikte gem § 99 Abs 1 lit b StVO in einem kürzeren Zeitraum als in dem erwähnten Beschwerdefall zur Last. Vor dem Hintergrund der Judikatur des VwGH ist es demnach unter Berücksichtigung des Umstandes, dass der Bf ein Wiederholungstäter ist und trotz zweier Entziehungen der Lenkberechtigung (darunter einer für die Dauer von 14 Monaten) neuerlich ein Alkoholdelikt begangen hat, bei dem er auch nach seiner Einschätzung "eine wirkliche Gefährlichkeit der Verhältnisse verwirklicht" hat, nicht als rechtswidrig zu erkennen, wenn die belangte Behörde im Zeitpunkt ihrer Entscheidung davon ausging, dass der Bf noch für weitere 14 Monate verkehrsunzuverlässig sei, insgesamt also eine Verkehrsunzuverlässigkeit für einen die Mindestentziehungsdauer noch übersteigenden Zeitraum von 11 Monaten angenommen hat. Die im Beschwerdefall angenommene Dauer der Verkehrsunzuverlässigkeit von insgesamt 19 Monaten ist deutlich kürzer als die im erwähnten Erkenntnis vom 20. März 2001 bestätigte Dauer von 24 Monaten und trägt den Unterschieden der beiden Konstellationen, insbesondere dem Nichtvorliegen eines vom Bf verschuldeten Verkehrsunfalles, im Ergebnis (noch) ausreichend Rechnung.

 

Weder die Regierungsvorlage noch der Ausschussbericht zur FSG-Novelle BGBl I Nr 93/2009 bieten im Übrigen einen Hinweis darauf, dass der Gesetzgeber bei vergleichbaren Fällen wiederholter Alkoholdelikte von der Judikatur des VwGH abgehen wollte.