27.07.2011 Wirtschaftsrecht

VwGH: Wahl des Vergabeverfahrens – zur Berechnung des geschätzten Auftragswertes gem § 13 BVergG 2006 (iZm einem Dienstleistungsauftrag)

Unter einem einheitlichen Vergabevorhaben sind alle Dienstleistungen des gleichen Fachgebietes, die in einem sachlichen und zeitlichen Zusammenhang stehen, zu verstehen; die Aufteilung eines Vergabevorhabens bedarf einer sachlichen Rechtfertigung, die nach einem strengen Maßstab zu prüfen ist


Schlagworte: Vergaberecht, Wahl des Vergabeverfahrens, Berechnung des geschätzten Auftragswertes, Dienstleistungsauftrag, einheitliches Vergabevorhaben, Aufteilung
Gesetze:

§ 13 BVergG 2006, § 16 BVergG 2006

GZ 2011/04/0116, 22.06.2011

 

Was die festgestellte Rechtswidrigkeit der Vergabe der Dienstleistung Reinigung der Sickerwässer ohne Bekanntmachung betrifft, vertritt der Auftraggeber die Auffassung, die belangte Behörde habe zu Unrecht die geschätzten Auftragswerte der einzelnen Dienstleistungen zusammengerechnet. Zusammenzurechnen seien nach Ansicht des Bf gem § 16 Abs 4 BVergG 2006 nur "gleichartige Leistungen". Der Betrieb der Umkehrosmoseanlage zur Reinigung der Deponiesickerwässer und die Entsorgung des dabei anfallenden Sickerwasserkonzentrats seien aber nicht gleichartige Leistungen, sodass deren Auftragswerte nicht zusammenzurechnen seien. Abgesehen davon gelte nach Auffassung des Bf das Gebot, alle Aufträge für ein "Vorhaben" zusammenzurechnen, für Bauaufträge und nicht für Dienstleistungsaufträge.

 

VwGH: Dem letztgenannten Beschwerdevorbringen ist zunächst § 13 Abs 1 zweiter Satz BVergG 2006 entgegenzuhalten, wonach bei der Berechnung des geschätzten Auftragswerts der geschätzte Gesamtwert "aller der zum Vorhaben gehörigen Leistungen" zu berücksichtigen ist. Wie der Wortlaut dieser Bestimmung und va deren Überschrift zeigen, bezieht sich diese Anordnung nicht bloß auf Bauaufträge. Diese Bestimmung wird durch § 13 Abs 4 BVergG 2006 insoweit ergänzt, als dort angeordnet wird, dass die angewandte Berechnungsmethode nicht den Zweck verfolgen dürfe, die Anwendung der Vorschriften dieses Bundesgesetzes zu umgehen.

 

Der VwGH hat im Erkenntnis vom 8. Oktober 2010, 2007/04/0188, unter Bezugnahme auf die Rsp des EuGH zur Berechnung des geschätzten Auftragswerts iZm einem Dienstleistungsauftrag ausgesprochen, dass unter einem einheitlichen Vergabevorhaben unstrittig alle Dienstleistungen des gleichen Fachgebietes, die in einem sachlichen und zeitlichen Zusammenhang stehen, zu verstehen sind. Die Aufteilung eines Vergabevorhabens bedürfe einer sachlichen Rechtfertigung, die nach einem strengen Maßstab zu prüfen sei. Fallbezogen hat der VwGH im genannten Erkenntnis Dienstleistungen eines Architekten (konkret sowohl die Erstellung von Vorentwurf, Entwurf, Einreichung, Ausführungsplanung als auch die technische Oberleitung) als einheitliches Vergabevorhaben beurteilt, sodass diese Leistungen bei der Berechnung des Auftragswertes zusammenzurechnen seien.

 

Diese Überlegungen sind (ungeachtet der Änderung des § 13 Abs 4 BVergG 2006 durch die Novelle BGBl I 86/2007; vgl im Übrigen § 22 Abs 3 leg cit) auch auf den vorliegenden Beschwerdefall, in dem es um die Reinigung, Entnahme, den Abtransport und die Entsorgung von Deponiesickerwässern geht, übertragbar. Ausgehend von den Feststellungen im angefochtenen Bescheid betreffen diese Dienstleistungen das gleiche Fachgebiet, nämlich die ordnungsgemäße Beseitigung anfallender Deponiesickerwässer, und stehen gegenständlich sowohl in einem sachlichen Zusammenhang (die Dienstleistungen bilden eine zusammenhängende Abfolge) als auch in einem örtlichen Zusammenhang (sie betreffen allesamt die Deponie R in W). Die ordnungsgemäße Beseitigung der anfallenden Deponiesickerwässer bildet gleichzeitig den gemeinsamen Zweck dieser Dienstleistungen, sodass diese nach dem Gesagten ein Vorhaben iSd § 13 Abs 1 BVergG 2006 (bzw ein Beschaffungsvorhaben iSd Art 9 Abs 3 der Richtlinie 2004/18/EG) bilden (vgl zur Bedachtnahme auf den gemeinsamen Zweck von Dienstleistungen, wenngleich iZm der Beurteilung von prioritären und nicht prioritären Dienstleistungen, auch das Urteil des EuGH vom 14. November 2002, Rs C-411/00, Felix Swoboda GmbH, Rn 60). Bestätigt wird dieses Ergebnis durch den Umstand, dass die gegenständlichen Dienstleistungen aufgrund einer einheitlichen Planung erbracht werden (vgl zu diesem Wesensmerkmal des Vorhabensbegriffes auch § 23 Abs 2 Bundeshaushaltsgesetz, auf den die Gesetzesmaterialien zu § 22 BVergG 2006 verweisen). Im vorliegenden Fall wurden die in Rede stehenden Dienstleistungen nämlich nicht nur Jahre lang von einem Unternehmer erbracht, sondern es besteht nach den Beschwerdeausführungen des Aufraggebers auch die Absicht, nach einer Phase der Betrauung verschiedener Unternehmen die Dienstleistungen ab 1. Dezember 2012 wieder in die "Gesamtverantwortung" eines Unternehmers zu übertragen.

 

Zusammengefasst ist daher davon auszugehen, dass im vorliegenden Beschwerdefall die Reinigung und Entnahme, der Abtransport und die Entsorgung der Deponiesickerwässer unter mehreren möglichen Gesichtspunkten (gleiches Fachgebiet, sachlicher und örtlicher Zusammenhang, gemeinsamer Zweck und gemeinsame Planung) als ein Vorhaben iSd § 13 Abs 1 BVergG 2006 anzusehen sind, sodass der geschätzte Gesamtwert dieser Dienstleistungen für die Beurteilung der Zulässigkeit des gewählten Vergabeverfahrens ausschlaggebend ist.

 

Es ist der belangten Behörde daher nicht entgegenzutreten, wenn sie in Anwendung des § 13 Abs 1 BVergG 2006 zum Ergebnis gelangte, dass die geschätzten Auftragswerte der genannten Dienstleistungen (Reinigung, Entnahme, Abtransport und Entsorgung der Sickerwässer) zusammenzurechnen seien, was gegenständlich (wie im Übrigen auch die Beschwerde bestätigt) zu einem geschätzten Gesamtwert von EUR 1,2 Mio führt.