03.08.2011 Verfahrensrecht

VwGH: Wiedereinsetzung - Verschulden von Kanzleikraft und Kontrollsystem

Der Vertreter verstößt auch dann gegen die ihm obliegende Sorgfaltspflicht, wenn er weder im Allgemeinen noch im Besonderen (wirksame) Kontrollsysteme vorgesehen hat, die im Fall des Versagens einer Kanzleikraft Fristversäumungen auszuschließen geeignet sind


Schlagworte: Wiedereinsetzung, Verschulden von Kanzleikräften, (wirksame) Kontrollsysteme
Gesetze:

§ 46 Abs 1 VwGG, § 71 AVG

GZ 2011/02/0075, 27.05.2011

 

Den Wiedereinsetzungsantrag begründet der Bf damit, dass der Ergänzungsauftrag vom 30. März 2011 am 15. April 2011 in der Kanzlei des Bf-Vertreters während dessen urlaubsbedingter Abwesenheit vom 15. bis zum 22. April 2011 eingelangt sei. Die für den Bf-Vertreter seit Jänner 2002 im Rahmen einer Regiegemeinschaft mit dem Rechtsanwalt Dr L (bei diesem seit 2001 beschäftigt) tätige verlässliche Kanzleikraft S habe die Frist von einer Woche zur Ergänzung der Beschwerde übersehen. Der Akt sei nicht Dr L vorgelegt worden, sondern auf dem Tisch des Bf-Vertreters mit anderer nicht dringlicher Post abgelegt gewesen. Dadurch sei dem Verbesserungsauftrag nicht durch eine substitutionsweise Vertretung durch Dr L bis zum 22. April 2011 entsprochen worden. Die Kanzleikraft S habe bislang keine Fristen des Bf-Vertreters übersehen. Es handle sich um ein einmaliges Versehen, das ihr im Zuge der Bearbeitung des umfangreichen Posteinganges unterlaufen sei, zumal auf Grund urlaubsbedingter Abwesenheit einer zweiten Sekretärin der Posteingang von S alleine habe erledigt werden müssen. Der Bf-Vertreter habe dies nach seiner Rückkehr bei Durchsicht der Akten festgestellt.

 

VwGH: Nach stRsp des VwGH gibt ein einem Vertreter widerfahrenes Ereignis einen Wiedereinsetzungsgrund für den Antragsteller nur dann ab, wenn dieses Ereignis für den Vertreter selbst unvorhergesehen oder unabwendbar war und es sich hiebei nur um einen minderen Grad des Versehens handelt. Ein Verschulden des Vertreters, das über den minderen Grad des Versehens hinausgeht, schließt die Wiedereinsetzung in den vorigen Stand aus. Der Begriff des minderen Grades des Versehens ist als leichte Fahrlässigkeit iSd §§ 1324, 1332 ABGB zu verstehen. Das Verschulden von Kanzleikräften stellt für den Vertreter dann ein unvorhergesehenes oder unabwendbares Ereignis dar, wenn der Vertreter der ihm zumutbaren und nach der Sachlage gebotenen Überwachungspflicht gegenüber seinen Kanzleikräften nachgekommen ist. Zudem muss der Vertreter seine Kanzlei so organisieren, dass die richtige und fristgerechte Erledigung von gerichtlichen Aufträgen sicher gestellt ist. Der Vertreter verstößt demnach auch dann gegen die ihm obliegende Sorgfaltspflicht, wenn er weder im Allgemeinen noch im Besonderen (wirksame) Kontrollsysteme vorgesehen hat, die im Fall des Versagens einer Kanzleikraft Fristversäumungen auszuschließen geeignet sind.  Im konkreten Fall wurde nicht einmal behauptet, dass der Bf-Vertreter ein Kontrollsystem eingerichtet hätte, sodass es ihm als eigenes, über den minderen Grad des Versehens hinausgehendes Verschulden anzulasten ist, dass die Verbesserungsfrist versäumt worden ist. Aus diesen Erwägungen war der Antrag auf Wiedereinsetzung in den vorigen Stand gegen die Versäumung der Mängelbehebungsfrist abzuweisen.