24.08.2011 Verfahrensrecht

VwGH: Rechts- und Handlungsfähigkeit gem § 9 AVG iZm Sachwalterbestellung

Die Sachwalterbestellung wirkt zwar insofern konstitutiv, als ab ihrer Wirksamkeit die Prozess- und Handlungsfähigkeit im dort umschriebenen Ausmaß keinesfalls mehr gegeben ist; für die Zeit davor ist aber zu prüfen, ob der Betreffende schon damals nicht mehr prozessfähig und somit nicht mehr in der Lage war, Bedeutung und Tragweite des Verfahrens und der sich in diesem ereigneten prozessualen Vorgänge zu erkennen, zu verstehen und sich den Anforderungen eines derartigen Verfahrens entsprechend zu verhalten


Schlagworte: Rechts- und Handlungsfähigkeit, Sachwalterbestellung, Vertretungsbefugnis
Gesetze:

§ 9 AVG, § 268 ABGB, § 284b ABGB

GZ 2009/10/0108, 13.05.2011

 

Die Bf bringt unter Vorlage einer Ausfertigung des Beschlusses des Bezirksgerichtes Salzburg vom 22. Mai 2009, wonach ihr gem § 268 ABGB eine Sachwalterin, ihre Enkelin, für die Einkommens- und Vermögensverwaltung sowie für die Vertretung gegenüber Ämtern, Behörden und Gerichten bestellt wurde, vor, sie habe bereits in ihrer Berufung darauf hingewiesen, dass am 31. Oktober 2008 die Bestellung eines Sachwalters für Vermögensangelegenheiten und die Vertretung vor Behörden angeregt worden sei. Die belangte Behörde wäre daher verpflichtet gewesen, die Prozessfähigkeit der Bf zu prüfen und iSd § 11 AVG vorzugehen. Demgegenüber habe sie den angefochtenen Bescheid darauf gestützt, dass die Bf den ihr erteilten Aufträgen nicht vollständig nachgekommen sei, obwohl diese tatsächlich nicht in der Lage gewesen sei, die Bedeutung und Tragweite der prozessualen Vorgänge zu erfassen.

 

VwGH: Gem § 9 AVG ist, insoweit die persönliche Rechts- und Handlungsfähigkeit von Beteiligten in Frage kommt, diese von der Behörde nach den Vorschriften des bürgerlichen Rechts zu beurteilen.

 

Ist für eine Person ein Sachwalter iSd § 268 Abs 1 ABGB bestellt, so kann diese Person innerhalb des Wirkungskreises des Sachwalters ohne dessen ausdrückliche oder stillschweigende Einwilligung rechtsgeschäftlich weder verfügen noch sich verpflichten (§ 280 Abs 1 ABGB).

 

Die Sachwalterbestellung wirkt zwar insofern konstitutiv, als ab ihrer Wirksamkeit die Prozess- und Handlungsfähigkeit im dort umschriebenen Ausmaß keinesfalls mehr gegeben ist. Für die Zeit davor ist aber zu prüfen, ob der Betreffende schon damals nicht mehr prozessfähig und somit nicht mehr in der Lage war, Bedeutung und Tragweite des Verfahrens und der sich in diesem ereigneten prozessualen Vorgänge zu erkennen, zu verstehen und sich den Anforderungen eines derartigen Verfahrens entsprechend zu verhalten.

 

Auf Grund der in der Berufung erstatteten Hinweise der Bf sowohl auf ihre mangelnden Fähigkeiten zur Besorgung ihrer (finanziellen) Angelegenheiten, als auch auf die Einleitung eines Verfahrens zur Bestellung eines Sachwalters konnte die belangte Behörde nicht ohne weitere Prüfung von der Handlungs- und Prozessfähigkeit der Bf im Verfahren ausgehen. Dies umso weniger, als sich in den vorgelegten Verwaltungsakten der Hinweis findet, die Bf sei "lt. Heim" nicht mehr geschäftsfähig.

 

Nun hat allerdings der Umstand, dass eine Person auf Grund einer psychischen Krankheit oder geistigen Behinderung ihre Angelegenheiten nicht ohne Gefahr eines Nachteiles für sich selbst besorgen kann, nicht jedenfalls zur Bestellung eines Sachwalters zu führen. Vielmehr ist die Bestellung eines Sachwalters gem § 268 Abs 2 ABGB unzulässig, soweit Angelegenheiten der behinderten Person durch einen anderen gesetzlichen Vertreter oder im Rahmen einer anderen Hilfe, besonders in der Familie, in Pflegeeinrichtungen, in Einrichtungen der Behindertenhilfe oder im Rahmen sozialer oder psychosozialer Dienste, im erforderlichen Ausmaß besorgt werden.

 

Vermag eine volljährige Person auf Grund einer psychischen Krankheit oder geistigen Behinderung Rechtsgeschäfte des täglichen Lebens nicht selbst zu besorgen und hat sie dafür keinen Sachwalter und auch sonst keinen gesetzlichen oder gewillkürten Vertreter, so kann sie gem § 284b Abs 1 ABGB bei diesen Rechtsgeschäften, soweit sie ihren Lebensverhältnissen entsprechen, von einem nächsten Angehörigen vertreten werden. Gleiches gilt für Rechtsgeschäfte zur Deckung des Pflegebedarfs sowie für die Geltendmachung von Ansprüchen, die aus Anlass von Alter, Krankheit, Behinderung oder Armut zustehen, insbesondere von sozialversicherungsrechtlichen Ansprüchen, Ansprüchen auf Pflegegeld und Sozialhilfe sowie Gebührenbefreiungen und anderen Begünstigungen.

 

§ 284b Abs 1 ABGB normiert somit in bestimmten Angelegenheiten, ua für die Geltendmachung sozialversicherungsrechtlicher und ähnlicher Ansprüche, eine gesetzliche Vertretungsbefugnis der nächsten Angehörigen einer volljährigen Person, die auf Grund ihrer psychischen Krankheit oder geistigen Behinderung nicht fähig ist, alle oder einzelne ihrer Angelegenheiten selbst zu besorgen. Eine Gefährdung des Wohles des Vertretenen erscheine hier - so die Gesetzesmaterialien - von vorneherein ausgeschlossen, weil es bei der Geltendmachung von Ansprüchen auf Pflegegeld und Sozialhilfe sowie bei Gebührenbefreiungen und anderen Vergünstigungen um bloß berechtigende Handlungen für den Vertretenen gehe; ein für den Vertretenen eingebrachter Antrag könne nur zur Prüfung des Anspruches durch die Behörde oder sonstige Stelle führen. Im Übrigen könne jederzeit das Pflegschaftsgericht angerufen werden, das dann im Rahmen eines Sachwalterschaftsverfahrens die Lebenssituation des Betroffenen zu prüfen und festzustellen habe, ob dessen Angelegenheiten auf Grund der gesetzlichen Vertretungsbefugnis nächster Angehöriger ausreichend besorgt werden und daher die Bestellung eines Sachwalters entbehrlich ist oder ob ein Sachwalterbestellungsverfahren einzuleiten ist.

 

Selbst wenn die belangte Behörde daher bei ordnungsgemäßer Prüfung zur Auffassung hätte gelangen müssen, die Bf sei bereits vor dem Beschluss über die Sachwalterbestellung nicht in der Lage gewesen, alle ihre Angelegenheiten ohne Gefahr eines Nachteiles für sich selbst zu besorgen, und sei daher nicht prozessfähig, hätte sie zunächst von der gesetzlichen Vertretungsbefugnis der einschreitenden Tochter gem § 284b Abs 1 ABGB ausgehen können. Diese - eingeschränkte - Vertretungsbefugnis der Tochter der Bf erlaubte es der belangten Behörde aber nicht, auch den Umstand, dass diese die Frage, welcher Verwendung die Bf ihr Vermögen vor geraumer Zeit zugeführt habe, nicht oder nicht ausreichend beantworten konnte, der Bf zuzurechnen. Denn eine Vertretungsbefugnis der Tochter der Bf gem § 284b Abs 1 ABGB war auf die "Geltendmachung" von Sozialhilfe eingeschränkt: Sie umfasste zwar die Antragstellung und damit im unmittelbaren Zusammenhang stehende Angaben, nicht aber auch Auskünfte über Akte der Vermögensverwaltung der Bf aus einer verhältnismäßig weit zurückliegenden Zeit, in der diese ihre finanziellen Angelegenheiten noch selbst besorgte.

 

Soweit die belangte Behörde daher die Mitwirkungspflicht der Bf geltend machte und ihr in diesem Rahmen Verfahrenshandlungen abverlangte, hat sie übersehen, dass die Bf - hätte die gebotene Prüfung ihre Prozessunfähigkeit ergeben - hiezu eines Sachwalters bedurft hätte.

 

Indem die belangte Behörde die mangelhafte Erfüllung der behördlichen Aufträge daher ohne weiteres als ausreichend erachtete, um auf dieser Grundlage eine Hilfebedürftigkeit der Bf iSd Salzburger Sozialhilfegesetzes zu verneinen bzw um ihren Sozialhilfeantrag zurückzuweisen, hat sie Verfahrensvorschriften verletzt, bei deren Einhaltung sie zu einem anderen Bescheid hätte gelangen können.