24.08.2011 Wirtschaftsrecht

VwGH: Zur Preisangemessenheitsprüfung nach § 125 BVergG 2006 und der Verpflichtung zur Durchführung einer vertieften Angebotsprüfung - ungewöhnlich niedriger Gesamtpreis im Verhandlungsverfahren

Sowohl ein Vergleich des Gesamtpreises mit der Kostenermittlung des Auftraggebers als auch ein Vergleich der in den verschiedenen Phasen des Verhandlungsverfahrens angebotenen Gesamtpreise ist - neben dem Vergleich der Gesamtpreise aller Angebote - eine zulässige Vorgangsweise zur Ermittlung, ob ein ungewöhnlich niedriger Gesamtpreis iSd § 125 Abs 3 Z 1 BVergG 2006 vorliegt


Schlagworte: Vergaberecht, Prüfung der Angemessenheit der Preise, vertiefte Angebotsprüfung, ungewöhnlich niedriger Gesamtpreis, Verhandlungsverfahren
Gesetze:

§ 125 BVergG 2006, § 105 BVergG 2006

GZ 2011/04/0011, 22.06.2011

 

VwGH: Gem § 125 BVergG 2006 ist es Aufgabe des Auftraggebers, die Angemessenheit der Preise (gegebenenfalls im Rahmen einer vertieften Angebotsprüfung) zu beurteilen.

 

Diese Prüfung ist gem § 125 Abs 1 BVergG 2006 in Bezug auf die ausgeschriebene oder alternativ angebotene Leistung und unter Berücksichtigung aller Umstände, unter denen sie zu erbringen sein wird, durchzuführen. Die Preisangemessenheit ist daher, wenn es um kein Alternativangebot geht, immer in Bezug auf die "ausgeschriebene" Leistung zu beurteilen.

 

Bei der Prüfung der Angemessenheit der Preise ist gem § 125 Abs 2 BVergG 2006 von vergleichbaren Erfahrungswerten, von sonst vorliegenden Unterlagen und von den jeweils relevanten Marktverhältnissen auszugehen. Das BVergG 2006 konkretisiert nicht, was unter einem angemessenen Preis zu verstehen ist. In einer freien Marktwirtschaft bildet sich der Preis im Wettbewerb, exakte Werte sind nicht festlegbar.

 

Gem § 125 Abs 3 BVergG 2006 muss der Auftraggeber bei Vorliegen der in den dortigen Ziffern 1 bis 3 genannten Voraussetzungen eine vertiefte Angebotsprüfung (gem § 125 Abs 4 und 5 BVergG 2006) durchführen.

 

Im Beschwerdefall stützte die belangte Behörde die Nichtigerklärung der Zuschlagsentscheidung darauf, dass das Angebot der Bf einen ungewöhnlich niedrigen Gesamtpreis aufgewiesen habe und aus diesem Grund eine vertiefte Angebotsprüfung durchzuführen wäre.

 

Die Voraussetzung des ungewöhnlich niedrigen Gesamtpreises ist in § 125 Abs 3 Z 1 BVergG 2006 angeführt. Ob ein derartig ungewöhnlich niedriger Gesamtpreis vorliegen kann, ergibt sich aus dem Vergleich mit der Kostenermittlung des Auftraggebers sowie aus dem Vergleich der Gesamtpreise aller Angebote. In der Literatur werden folgende Fälle unterschieden: Geringe Abweichung (bis etwa 5 %), tolerierbare Abweichung (bis etwa 15 %) und grobe Abweichung (ab etwa 15 %).

 

Die Begründung des angefochtenen Bescheides lässt in ihren rechtlichen Erwägungen nun nicht deutlich erkennen, auf Grund welcher quantifizierten Abweichung die belangte Behörde davon ausgegangen ist, dass ein ungewöhnlich niedriger Gesamtpreis iSd § 125 Abs 3 Z 1 BVergG 2006 vorliegt. Die belangte Behörde spricht einerseits - ohne dies aber zahlenmäßig zu konkretisieren - von "erheblichen Preisreduktionen" bei den "Leistungspakten (sic) E 1, E 3, E 4 und E 5" beim Letztangebot der Bf. Weiters spricht sie von einem im Vergleich zwischen zweitem Angebot und letztem Angebot der Bf ungewöhnlich niedrigen Gesamtpreis, ohne dies zahlenmäßig oder prozentuell zu quantifizieren. Weiters folgt ein allgemein gehaltener Hinweis auf die Kostenermittlung des Auftraggebers.

 

Die dabei von der belangten Behörde herangezogenen Vergleichswerte zur Ermittlung, ob der von der Bf angebotene Gesamtpreis ungewöhnlich niedrig iSd § 125 Abs 3 Z 1 BVergG 2006 sei, sind trotz dieses Begründungsmangels im Ergebnis nicht als rechtswidrig zu erkennen: Sowohl ein Vergleich des Gesamtpreises mit der Kostenermittlung des Auftraggebers als auch - zumal es sich vorliegend um ein Verhandlungsverfahren handelt - ein Vergleich der in den verschiedenen Phasen des Verhandlungsverfahrens angebotenen Gesamtpreise ist - neben dem Vergleich der Gesamtpreise aller Angebote - eine zulässige Vorgangsweise zur Ermittlung, ob ein ungewöhnlich niedriger Gesamtpreis vorliegt.

 

Dass im Verhandlungsverfahren für die Beurteilung der Frage, ob ein ungewöhnlich niedriger Gesamtpreis gem § 125 Abs 3 Z 1 BVergG 2006 vorliegt, auch ein Vergleich der im Verhandlungsverfahren angebotenen Gesamtpreise zulässig ist, ergibt sich schon aus der Natur dieses Verfahrens: Gem § 105 Abs 2 BVergG 2006 kann das Verhandlungsverfahren mit mehreren Bietern in verschiedenen aufeinanderfolgenden Phasen durchgeführt werden. Gegenstand dieses Verfahrens ist es, mit mehreren Bietern über den gesamten Leistungsinhalt zu verhandeln, dies jedoch immer gemäß den bekanntgemachten Zuschlagskriterien (vgl § 105 Abs 1 BVergG 2006). Da die Preisangemessenheit - wie oben ausgeführt - immer in Bezug auf die "ausgeschriebenen" Leistungen geprüft werden muss, ist es im Verhandlungsverfahren daher durchaus zulässig, anhand der unverändert gebliebenen Zuschlagskriterien und anhand der Änderungen des Leistungsinhaltes im Verhandlungsverfahren zu beurteilen, ob auf Grund einer im Verhandlungsverfahren erfolgten ungewöhnlich hohen Preisreduktion im Letztangebot ein ungewöhnlich niedriger Gesamtpreis vorliegt.

 

In dem Sinne hat die belangte Behörde im angefochtenen Bescheid auch darauf hingewiesen, dass der Auftraggeber selbst zu den inhaltlichen Änderungen zwischen dem zweiten Angebot und dem Letztangebot der Bf festgestellt habe, dass diese bei einer Servicedefinition als mittlere Änderungen und ansonsten als geringfügige inhaltliche Änderungen zu beurteilen seien; lediglich bei zwei Servicedefinitionen seien hohe inhaltliche Änderungen festgestellt worden, die darauf zurückzuführen seien, dass die Bf in ihrem Letztangebot von einer Übernahme des Personals des bisherigen Dienstleisters abgesehen habe.

 

 Den (umfangreichen) Feststellungen des angefochtenen Bescheides lässt sich entnehmen, dass die Bf ein Letztangebot ("last and best offer") mit einem Gesamtangebotspreis von ca EUR 173 Mio gelegt hat, während das zweite Angebot der Bf noch einen Gesamtangebotspreis von ca EUR 441 Mio aufwies, sodass eine Preisreduktion von ca 60 % erfolgte.

 

Nach Auffassung des VwGH berechtigte alleine diese ungewöhnliche Reduzierung des Gesamtangebotspreises im Verhandlungsverfahren die belangte Behörde dazu, davon ausgehen zu können, dass der Fall des § 125 Abs 3 Z 1 BVergG 2006 und sohin eine Verpflichtung des Auftraggebers zur Durchführung einer vertieften Angebotsprüfung vorlag, zumal die auch in der Beschwerde hiefür angeführten Erklärungen für eine derartige Reduktion nicht ausreichend sind. Während die Beschwerde das Verhältnis des Gesamtpreises ihres Letztangebotes sowohl zu den Kostenschätzungen des Auftraggebers als auch zu den von der erstmitbeteiligten und zweitmitbeteiligten Partei angebotenen Gesamtpreisen zu erklären versucht, bringt sie zur Preisreduktion zwischen zweitem und letztem Angebot lediglich vor, diese sei bei der Frage der Preisangemessenheit gänzlich unbeachtlich.

 

Die belangte Behörde hat daher zu Recht die Auffassung vertreten, dass der Auftraggeber im Beschwerdefall zu einer vertieften Angebotsprüfung gem § 125 Abs 4 und 5 BVergG 2006 verpflichtet gewesen wäre, weil die Voraussetzung des § 125 Abs 3 Z 1 BVergG 2006 (ungewöhnlich niedriger Gesamtpreis) vorgelegen war.

 

Im Rahmen der vertieften Angebotsprüfung wäre es Aufgabe des Auftraggebers gewesen, die Preisgestaltung auf ihre betriebswirtschaftliche Erklär- und Nachvollziehbarkeit in der Regel aus sachverständiger Sicht zu prüfen.