14.09.2011 Verfahrensrecht

VwGH: Wiedereinsetzung - zwar darf ein Rechtsanwalt die Vornahme bestimmter Arbeitsgänge innerhalb seiner Kanzlei, wie etwa das Kuvertieren oder die Postaufgabe seinen Kanzleiangestellten überlassen, und ein Versehen eines Kanzleiangestellten eines bevollmächtigten Rechtsanwaltes stellt dann ein Ereignis iSd § 46 Abs 1 VwGG dar, wenn der Anwalt der ihm zumutbaren und nach der Sachlage gebotenen Überwachungspflicht jenen Bediensteten gegenüber nachgekommen ist

Davon zu unterscheiden ist jedoch die Überprüfung der Richtigkeit und Vollständigkeit eines vom Rechtsanwalt einzubringenden Schriftsatzes; diesbezüglich kann der Rechtsanwalt nicht aus seiner Verantwortung entlassen werden, und zwar auch dann nicht, wenn er sich bei der Vorbereitung des Schriftstückes (besonders) verlässlicher Kanzleikräfte bedient


Schlagworte: Wiedereinsetzung, Verschulden von Kanzleikräften, Schriftsatz, Überprüfung der Richtigkeit und Vollständigkeit
Gesetze:

§ 46 Abs 1 VwGG, § 71 AVG

GZ 2008/02/0172, 29.04.2011

 

VwGH: Nach stRsp des VwGH trifft das Verschulden des Parteienvertreters die von diesem vertretene Partei. Dabei stellt ein dem Vertreter widerfahrenes Ereignis einen Wiedereinsetzungsgrund für die Partei nur dann dar, wenn dieses Ereignis für den Vertreter selbst unvorhergesehen oder unabwendbar war und dem Vertreter höchstens ein minderer Grad des Versehens vorzuwerfen ist. Ein Verschulden, das über den minderen Grad des Versehens hinausgeht, schließt die Wiedereinsetzung in den vorigen Stand aus. Der Begriff des minderen Grades des Versehens ist als leichte Fahrlässigkeit iSd § 1332 ABGB zu verstehen. Der Wiedereinsetzungswerber bzw sein Vertreter darf also nicht auffallend sorglos gehandelt, somit die im Verkehr mit Gerichten und für die Einhaltung von Terminen und Fristen erforderliche und ihm nach seinen persönlichen Fähigkeiten zumutbare Sorgfalt in dieser Weise außer Acht gelassen haben.

 

Der Antragsteller zeigt nicht auf, dass seinem Vertreter nur ein den minderen Grad des Versehens nicht übersteigendes Verschulden vorzuwerfen sei. Zwar darf ein Rechtsanwalt die Vornahme bestimmter Arbeitsgänge innerhalb seiner Kanzlei, wie etwa das Kuvertieren oder die Postaufgabe seinen Kanzleiangestellten überlassen, und ein Versehen eines Kanzleiangestellten eines bevollmächtigten Rechtsanwaltes stellt dann ein Ereignis iSd § 46 Abs 1 VwGG dar, wenn der Anwalt der ihm zumutbaren und nach der Sachlage gebotenen Überwachungspflicht jenen Bediensteten gegenüber nachgekommen ist. Davon zu unterscheiden ist jedoch die Überprüfung der Richtigkeit und Vollständigkeit eines vom Rechtsanwalt - wie hier zur Erfüllung eines Mängelbehebungsauftrages - einzubringenden Schriftsatzes. Diesbezüglich kann der Rechtsanwalt nicht aus seiner Verantwortung entlassen werden, und zwar auch dann nicht, wenn er sich bei der Vorbereitung des Schriftstückes (besonders) verlässlicher Kanzleikräfte bedient. Da sich die von der Kanzleileiterin vorzunehmende Tätigkeit nicht bloß auf den rein technischen Vorgang beim Abfertigen von Schriftstücken beschränkte (es war vielmehr die Komplettierung des bereits vorab unterfertigten Schriftsatzes nach einer "Checkliste" durch Anschluss weiterer beizubringender Beilagen vorzunehmen), hätte sie auch einer verlässlichen Kanzleikraft nicht ohne nähere Beaufsichtigung überlassen werden dürfen. Die anwaltliche Sorgfaltspflicht umfasst in einem solchen Fall auch die geeignete Überwachung des Fertigmachens der Postsendung zur Abgabe und die Überprüfung der Vollständigkeit der an den VwGH in Befolgung des Verbesserungsauftrages zu übermittelnden Aktenstücke, sodass dem Rechtsvertreter des Antragstellers im vorliegenden Fall ein über einen minderen Grad des Versehens hinausgehendes Verschulden anzulasten ist.