21.09.2011 Arbeitsrecht

VwGH: Übertretung arbeitnehmerschutzrechtlicher Bestimmungen – zur Frage, ob der Umstand, dass die Verwaltungsübertretung während des Betriebsurlaubes erfolgte, für den Arbeitgeber schuldbefreiend wirkt

Die den Arbeitnehmern gegebene Möglichkeit, von der Auftragsannahme bis zur Abwicklung va auch in zeitlicher Hinsicht weitgehend selbständig tätig zu werden, ist mit den arbeitnehmerschutzrechtlichen Anforderungen an einen Arbeitgeber nicht in Einklang zu bringen; der Arbeitgeber durfte daher nicht darauf vertrauen, dass während des Betriebsurlaubes keine Arbeiten für den Betrieb durchgeführt werden


Schlagworte: Arbeitnehmerschutzrecht, wirksames Kontrollsystem, Betriebsurlaub
Gesetze:

ASchG, BauV, § 5 Abs 1 VStG, § 9 VStG

GZ 2011/02/0155, 29.06.2011

 

Mit dem im Instanzenzug ergangenen angefochtenen Bescheid hat die belangte Behörde den Bf für schuldig erachtet, er habe es als handelsrechtlicher Geschäftsführer, somit als gem § 9 VStG Verantwortlicher der M GmbH zu verantworten, dass am 8. August 2010 gegen 7.35 Uhr der Arbeitnehmer der M GmbH R auf der Baustelle in E Dacharbeiten an dem Gebäude mit einer Traufenhöhe von ca 5,5 m an der Absturzstelle und einer Dachneigung von ca 35 Grad ohne entsprechende Schutzeinrichtungen (Schutzgerüst, Sicherheitsgeschirr etc) ausgeführt habe, sodass er abgestürzt und gravierend verletzt worden sei, dies obwohl bei Arbeiten auf Dächern mit einer Neigung von mehr als 20% und einer Absturzhöhe von mehr als 3 m geeignete Schutzeinrichtungen vorhanden sein müssten, die den Absturz von Menschen, Materialien und Geräten in sicherer Weise verhinderten, wie insbesondere Dachfanggerüste.

 

Er habe dadurch eine Verwaltungsübertretung gem § 130 Abs 5 Z 1 ASchG und § 118 Abs 3 ASchG iVm § 83 Abs 3 BauV begangen.

 

In der Beschwerde wird vorgebracht, es sei auf Grund des bestehenden Betriebsurlaubes nicht vorhersehbar gewesen, dass Arbeiten auf einer Baustelle durchgeführt wurden. Dem Bf könne daher kein fahrlässiges Verhalten vorgeworfen werden.

 

VwGH: Nach den unbestrittenen Feststellungen können die Arbeitnehmer direkt von den Kunden Aufträge annehmen, die Arbeitnehmer fahren selbständig zu den Baustellen und führen Arbeiten durch, sie nehmen selbständig Material vom Lager mit, insbesondere stehen Arbeiten am Wochenende oder während des Betriebsurlaubes nicht im Einflussbereich des Bf, der von all dem im Nachhinein verständigt wird. Bei der konkreten Baustelle holte der Bauherr das Anbot bei der M GmbH ein, auf deren Rechnung auf der Baustelle gearbeitet wurde.

 

Nach diesen Feststellungen ist der Betrieb der M GmbH, deren handelsrechtlicher Geschäftsführer der Bf ist, derart organisiert, dass es dem Bf unmöglich ist, die Einhaltung arbeitnehmerschutzrechtlicher Vorschriften wirksam zu überwachen. Die den Arbeitnehmern gegebene Möglichkeit, von der Auftragsannahme bis zur Abwicklung va auch in zeitlicher Hinsicht weitgehend selbständig tätig zu werden, ist mit den arbeitnehmerschutzrechtlichen Anforderungen an einen Arbeitgeber nicht in Einklang zu bringen. Nach weiteren - unbekämpften - Feststellungen befanden sich die drei auf der Baustelle tätigen Arbeitnehmer "nicht auf Urlaub", während "die anderen Arbeitnehmer auf Urlaub waren"; der Bf wisse "nicht immer, ob die Arbeitnehmer tatsächlich auf Urlaub sind oder nicht." Bei dieser Betriebsorganisation musste der Bf auch während des hier in Rede stehenden Betriebsurlaubes damit rechnen, dass Arbeitnehmer in Erfüllung von Verpflichtungen der M GmbH auf Baustellen tätig werden, zumal auch nicht behauptet wurde, dass den Arbeitnehmern dies untersagt worden wäre.

 

Selbst wenn davon ausgeht, dass - wie der Bf im Rahmen der Verfahrensrüge vorbringt - während des Betriebsurlaubes sowohl der Bf als auch alle anderen Mitarbeiter abwesend hätten sein sollen, musste er bei einer solchen Betriebsorganisation mit einem eigenmächtigen Handeln seiner Arbeitnehmer rechnen, weil er von Arbeiten immer erst im Nachhinein verständigt wurde.

 

Davon ausgehend ist die vorliegende Übertretung nach der dargestellten Judikatur dem Bf auch subjektiv vorwerfbar, weil eben gerade für den Fall eigenmächtiger Handlungen von Arbeitnehmern das entsprechende Kontrollsystem Platz zu greifen hat. Der Bf durfte nicht darauf vertrauen, dass während des Betriebsurlaubes keine Arbeiten für die M GmbH durchgeführt werden.