21.09.2011 Sonstiges

VwGH: Salzstreuung einer Bundesstraße als Waldverwüstung gem § 16 ForstG – zur Frage, ob es iSv § 172 Abs 6 ForstG zulässig ist, die Salzstreuung zu untersagen, ohne die damit verbundenen Gefahren für Leben und Gesundheit von Verkehrsteilnehmern zu berücksichtigen

Für den Anwendungsbereich des ForstG, das - wie etwa aus dessen § 17 Abs 3 deutlich wird - dem Schutz und der Erhaltung des Waldes keine absolute Priorität einräumt, lässt sich der Grundsatz ableiten, dass Bescheide nicht zu einer Gefährdung des Lebens oder der Gesundheit von Menschen führen dürfen


Schlagworte: Forstrecht, Waldverwüstung, Forstaufsicht, Untersagung der Salzstreuung, Gefahren für Leben und Gesundheit von Verkehrsteilnehmern
Gesetze:

§ 16 ForstG, § 172 ForstG, § 68 Abs 3 AVG

GZ 2010/10/0092, 14.07.2011

 

VwGH: Der Bf bestreitet die von der belangten Behörde in unbedenklicher Weise auf das eingeholte forstfachliche Sachverständigengutachten gestützte Feststellung des Vorliegens einer offenbaren flächenhaften Gefährdung des Bewuchses auf der gegenständlichen Fläche, verursacht durch die aus der Salzstreuung auf der B 5 resultierenden Abwässer, nicht.

 

Die Annahme einer Waldverwüstung iSd § 16 Abs 2 lit d ForstG begegnet somit keinen Bedenken. Es kann daher auf sich beruhen, ob - darüber hinaus - auch die in § 16 Abs 2 lit a und c leg cit normierten Tatbestände verwirklicht sind.

 

Der Bf bringt vor, dass eine sachgemäße Salzstreuung - ebenso wie die vom Gesetz ausdrücklich erwähnte sachgemäße Düngung - keine Waldverwüstung darstelle. Aus Gründen der Einheitlichkeit der Rechtsordnung seien unter Immissionen nur solche zu verstehen, die das ortsübliche, bei Salzstreuung das erforderliche Maß überstiegen. Die durchschnittliche tägliche Fahrzeugfrequenz auf dem gegenständlichen Straßenstück betrage 2.840 Fahrzeuge, davon 308 LKW. Nach der RVS sei daher nach der "Betreuungsart 1" vorzugehen, die eine "Schwarzräumung" mit Streusalz vorsehe. Eine bloße Splittstreuung sei wegen des hohen Verkehrsaufkommens unzulässig. Darüber hinaus handle es sich beim gegenständlichen Straßenstück um einen besonders gefährlichen kurvenreichen Abschnitt in einem Waldstück, der zahlreiche Steigungen und Gefälle sowie eine Böschung aufweise. Die Entscheidung, Salz zu streuen, beruhe nicht nur auf der RVS, sondern insbesondere auch auf der besonderen Gefährlichkeit des Straßenstückes. Die Unterlassung der Salzstreuung auf diesem Straßenstück hätte gem § 1319a ABGB die Haftung des Bf als Straßenerhalter wegen grober Fahrlässigkeit zur Folge. Eine allfällige Splittstreuung nur auf dem gegenständlichen Straßenstück würde zu einer weiteren Erhöhung der Gefährlichkeit des relevanten Abschnittes führen, weil durch den ständigen Fahrzeugverkehr das in den davor und danach liegenden Straßenabschnitten gestreute Salz in den gegenständlichen Bereich getragen würde, was zu einer verminderten Salzkonzentration mit Matschbildung führen würde, was wiederum die Unwirksamkeit des gestreuten Splittmaterials und erhöhte Gefahr von Glatteisbildung zur Folge hätte. Die somit zum Schutz der höherwertigen Rechtsgüter Leben und Gesundheit erforderliche Salzstreuung könne nicht gleichzeitig eine Waldverwüstung darstellen.

 

Voraussetzung für die Erteilung eines forstpolizeilichen Auftrages gem § 172 Abs 6 ForstG ist - neben der hier unstrittig vorliegenden Waldeigenschaft - ein Verstoß gegen forstrechtliche Vorschriften wie zB das Verbot der Waldverwüstung gem § 16 Abs 1 leg cit.

 

Wie oben ausgeführt, stellt die durch die - vom bf Land als Straßenerhalter gem § 4 Z 6 des Niederösterreichischen Straßengesetzes im Rahmen der Privatwirtschaftsverwaltung durchgeführte - Salzstreuung unstrittig verursachte flächenhaften Gefährdung des Bewuchses eine Waldverwüstung iSv § 16 Abs 2 lit d ForstG dar.

 

Zu prüfen ist, ob es diesfalls iSv § 172 Abs 6 ForstG zulässig ist, die Salzstreuung - primär und jedenfalls bis zum Wirksamwerden der in Spruchpunkt II. des angefochtenen Bescheides erwähnten Ableitungsmaßnahmen - zu untersagen, ohne die damit verbundenen Gefahren für Leben und Gesundheit von Verkehrsteilnehmern zu berücksichtigen.

 

Im dem hg Erkenntnis vom 18. Februar 1986, 85/07/0333, zugrunde liegenden Fall hat die belangte Behörde die Salzstreuung auf einem bestimmten Straßenstück gem § 16 Abs 3 ForstG untersagt und dazu ua ausgeführt, dass dieses Straßenstück sehr flach verlaufe und daher auch bei bloßer Splittstreuung gefahrlos benutzbar bleibe. Der VwGH hat die dagegen gerichtete Beschwerde des Straßenerhalters abgewiesen und - als Antwort auf das Beschwerdevorbringen - ausgeführt, es sei im Verwaltungsverfahren nicht hervorgekommen, dass eine Ableitung der salzhaltigen Straßenabwässer durch bauliche Maßnahmen möglich sei.

 

Im vorliegenden Fall hat der Bf schon im Verwaltungsverfahren vorgebracht, dass das betreffende Straßenstück in sicherheitstechnischer Sicht als gefährlich zu bezeichnen sei. Es schließe unmittelbar an einen gefährlichen Kurvenbereich an und sei selbst relativ kurvenreich sowie mit zahlreichen Steigungen, Gefällen und einer Böschung versehen. Die Salzstreuung sei - zur Vermeidung einer Gefahr für Gesundheit und Leben der Verkehrsteilnehmer - unbedingt erforderlich.

 

Gem § 68 Abs 3 AVG können ua zur Beseitigung von das Leben oder die Gesundheit von Menschen gefährdenden Missständen rechtskräftige Bescheide zur Wahrung des öffentlichen Wohles abgeändert oder gänzlich aufgehoben werden. Bei verfassungskonformer Interpretation dieser Bestimmung ergibt sich, dass die Behörde mit der Beseitigung von das Leben oder die Gesundheit gefährdenden Missständen nicht bis zum Eintritt der formellen Rechtskraft des den Missstand bewirkenden Bescheides zuwarten muss. Daraus lässt sich für den Anwendungsbereich des ForstG, das - wie etwa aus dessen § 17 Abs 3 deutlich wird - dem Schutz und der Erhaltung des Waldes keine absolute Priorität einräumt, der Grundsatz ableiten, dass Bescheide nicht zu einer Gefährdung des Lebens oder der Gesundheit von Menschen führen dürfen.

 

Die belangte Behörde hat bis zur Verwirklichung von wirksamen Maßnahmen zur Ableitung der Abwässer (die nach dem Beschwerdevorbringen allerdings gar nicht umsetzbar sein sollen) allein die Salzstreuung untersagt. Nach den dargestellten Grundsätzen dürfte ein solcher Bescheid nicht erlassen werden, wenn die Salzstreuung des gegenständlichen Straßenstückes entsprechend dem Vorbringen des Bf tatsächlich zur Hintanhaltung einer Gefahr für Leben und Gesundheit der Verkehrsteilnehmer unumgänglich sein sollte.

 

Die belangte Behörde hat sich jedoch in Verkennung der dargestellten Rechtslage mit diesem Vorbringen des Bf nicht - allenfalls unter Beiziehung eines Sachverständigen - auseinandergesetzt.

 

Die hier vertretene Ansicht entspricht im Ergebnis auch der Judikatur des OGH, der im Urteil vom 11. Juli 1990, 3 Ob 534/90, zu § 364a ABGB ausgesprochen hat, dass bei der Salzstreuung auf Straßen zwei öffentliche Interessen in eine gewisse Kollision gerieten. Einerseits diene die Salzstreuung der Sicherheit des Straßenverkehrs im Winter und hafte der Straßenerhalter für durch Unterlassung der Salzstreuung verursachte Verkehrsunfälle gem § 1319a ABGB. Andererseits drohe durch die Salzstreuung eine Schädigung der Umwelt. Unter Bedachtnahme auf den notwendigen Ausgleich zwischen den Interessen an der Sicherheit im Straßenverkehr und an der Vermeidung von Umweltschäden liege eine unzulässige Immission iSv § 364 Abs 2 ABGB und damit ein Ersatzanspruch nach § 364a ABGB iZm der Salzstreuung nur vor, wenn der Straßenerhalter das im Interesse der Sicherheit des Verkehrs nötige Maß überschreite. Der Straßenerhalter habe also für jenes Ausmaß der Salzstreuung nicht einzustehen, das erforderlich sei, um bei ungünstigen Witterungsverhältnissen eine in zumutbarer Weise anders nicht abwendbare Gefährdung der Verkehrsteilnehmer hintanzuhalten. Er hafte jedoch für ein darüber hinausgehendes Maß an Salzstreuung.

 

Gem § 9 Abs 1 iVm § 12a Abs 2 des Niederösterreichischen Straßengesetzes sind öffentliche Straßen so zu erhalten, dass sie dem öffentlichen Interesse an der Sicherheit des Verkehrs entsprechen. Auch daraus ergibt sich eine Verpflichtung des Straßenerhalters zur Salzstreuung, wenn und soweit eine Gefährdung von Verkehrsteilnehmern anders nicht hintangehalten werden kann. Eine Salzstreuung in diesem Umfang könnte daher nicht als rechtswidriger Verstoß gegen das ForstG angesehen werden. (Eine rechtswidrige Waldverwüstung könnte jedoch in der Unterlassung von möglichen und zumutbaren Maßnahmen zur Hintanhaltung der waldschädigenden Folgen der Verwendung von Streusalz liegen.)

 

Aufgrund der dargestellten Verkennung der Rechtslage war der angefochtene Bescheid, mit dem primär und bis zur wirksamen Ableitung der Abwässer allein der Einsatz von salzhaltigen Auftaumitteln untersagt wurde, gem § 42 Abs 2 Z 1 VwGG wegen Rechtswidrigkeit seines Inhaltes aufzuheben.