09.11.2011 Arbeitsrecht

VwGH: Ausnahme vom Wirkungsbereich der Arbeitsinspektion – Abgrenzung von "Verwaltungsstelle" einerseits und "Betrieb" iSd § 1 Abs 3 ArbIG andererseits

Der Betriebsbegriff des § 1 Abs 3 ArbIG orientiert sich grundsätzlich an der Definition des § 34 Abs 1 ArbVG; entscheidend ist, ob die im Rahmen der Verwaltungsstelle ausgeübte Tätigkeit auch von einer Privatperson oder von einer privaten Institution ausgeübt werden kann


Schlagworte: Arbeitnehmerschutz, Wirkungsbereich der Arbeitsinspektion, Ausnahme, Verwaltungsstelle, Betrieb, Abgrenzung, Arbeitnehmer, Bedienstete
Gesetze:

§ 1 ArbIG, § 34 ArbVG, § 33 ArbVG

GZ 2009/07/0197, 13.10.2011

 

Die Beschwerde bringt vor, dass wesentlich für die Zuständigkeitsabgrenzung gem § 1 Abs 3 ArbIG, und somit für die Entscheidung über die Zuerkennung der Parteistellung an das Arbeitsinspektorat, die Abgrenzung von "Verwaltungsstellen" einerseits und "Betrieben" andererseits sei, womit sich die belangte Behörde aber nicht in nachvollziehbarer Weise auseinandergesetzt habe. Gegenständlich seien die Gemeindebediensteten in einem Betrieb (Kläranlage) beschäftigt, somit nicht von der Ausnahme des § 1 Abs 3 ArbIG erfasst.

 

Es handle sich um ein Verfahren in Angelegenheiten des § 12 Abs 1 ArbIG, die den Arbeitnehmerschutz berührten, und es liege keine Ausnahme vom Geltungsbereich des ArbIG vor, sodass die Parteistellung des Arbeitsinspektorats gegeben sei.

 

Dass es sich um ein Verfahren in einer Angelegenheit des § 12 Abs 1 ArbIG, die den Arbeitnehmerschutz berührt, handelt, ist zwischen den Verfahrensparteien nicht strittig.

 

Die belangte Behörde verneinte die Parteistellung allerdings mit dem Hinweis darauf, dass sich nach § 1 Abs 3 ArbIG der Wirkungsbereich der Arbeitsinspektion nicht auf die verfahrensgegenständliche Kläranlage bezöge.

 

VwGH: Die Materialien zu § 1 Abs 3 ArbIG lauten:

 

"Abs 3 regelt die Ausnahmen für Bedienstete des Bundes, der Länder, Gemeinden und Gemeindeverbände. In Übereinstimmung mit Art 21 Abs 2 B-VG wird darauf abgestellt, ob diese Bediensteten in Betrieben beschäftigt sind. Dies entspricht ua der im Arbeitsruhegesetz und im Bundesgesetz über die Nachtarbeit der Frauen getroffenen Regelung.

 

Zur Abgrenzung zwischen Betrieben einerseits und Behörden, Ämtern und Verwaltungsstellen andererseits ist auf die Literatur und Judikatur zum Betriebsrätegesetz bzw zu § 33 des ArbVG zu verweisen. Demnach sind als Betriebe zB anzusehen: E-Werke, Gaswerke, Krankenanstalten, Theaterbetriebe.

 

Gegenüber dem ArbIG 1974 tritt eine Änderung nur insoweit ein, als Anstalten nicht mehr generell ausgenommen sind, sondern - in Übereinstimmung mit Art 21 B-VG - darauf abzustellen ist, ob es sich um einen Betrieb handelt. Eine generelle Ausnahme für Anstalten erscheint sachlich nicht zu rechtfertigen, zumal dem Land keine Kompetenz zur Regelung und Vollziehung des Arbeitnehmerschutzes zukommt, wenn es sich um Betriebe handelt.

 

Besonders ist darauf hinzuweisen, dass die Ausnahme nur Bedienstete erfasst, die in einem Dienstverhältnis zu den Gebietskörperschaften oder Gemeindeverbänden stehen. Alle sonstigen in einer Verwaltungsstelle tätigen Arbeitnehmer/innen, zB die in einem Dienstverhältnis zu einem Reinigungsunternehmen stehenden Reinigungskräfte, unterliegen dem Wirkungsbereich der Arbeitsinspektion.

 

Hinsichtlich der gem Abs 3 ausgenommenen Bundesbediensteten kommen der Arbeitsinspektion Befugnisse nach dem Bundesbediensteten-Schutzgesetz zu. Hinsichtlich der nach Abs 3 ausgenommenen Bediensteten der Länder, Gemeinden und Gemeindeverbände liegt die Kompetenz zur Regelung und Vollziehung des Arbeitnehmerschutzes beim Land."

 

In den Erläuterungen wird auf Art 21 Abs 2 B-VG verwiesen, wonach die Gesetzgebung und Vollziehung in Angelegenheiten des Arbeitnehmerschutzes der Bediensteten der Länder, der Gemeinden und Gemeindeverbände, die nicht in Betrieben tätig sind, den Ländern obliegt. Die Kompetenz in Gesetzgebung und Vollziehung in Angelegenheiten des Arbeitnehmerschutzes der Bediensteten der Länder, der Gemeinden und Gemeindeverbände, die in Betrieben tätig sind, obliegt hingegen dem Bund. Wesentlich für die Zuständigkeitsabgrenzung nach § 1 Abs 3 ArbIG ist daher die Abgrenzung von "Verwaltungsstelle" einerseits und "Betrieb" andererseits.

 

Die Erläuterungen beziehen sich bei der Definition des Betriebes auf die Judikatur und Literatur zum Betriebsrätegesetz bzw zum ArbVG.

 

Nach der Rsp des VwGH orientierte sich der Betriebsbegriff des (damaligen) Arbeitnehmerschutzgesetzes grundsätzlich an der Definition des § 34 Abs 1 ArbVG. Danach galt als Betrieb jede Arbeitsstätte, die eine organisatorische Einheit bildet, innerhalb der eine physische oder juristische Person oder eine Personengemeinschaft mit technischen oder immateriellen Mitteln die Erzielung bestimmter Arbeitsergebnisse fortgesetzt verfolgt, ohne Rücksicht darauf, ob Erwerbsabsicht besteht oder nicht. Wesentliches Merkmal eines Betriebes iSd ArbVG war die organisatorische Einheit, die in der Einheit des Betriebsinhabers, des Betriebszweckes und der Organisation zum Ausdruck kommen musste.

 

Der VwGH hat sich in seinem Erkenntnis vom 26. Jänner 2005, 2004/12/0084, mit der Frage der Abgrenzung einer "sonstigen Verwaltungsstelle" (iSd § 33 Abs 1 Z 2 ArbVG) von den unter das ArbVG fallenden "Betrieben" einer Gebietskörperschaft befasst. Entscheidend sei, ob die im Rahmen der Verwaltungsstelle ausgeübte Tätigkeit auch von einer Privatperson oder von einer privaten Institution ausgeübt werden könnte. Sei dies nicht der Fall, handle es sich um eine "sonstige Verwaltungsstelle", andernfalls um einen unter den II. Teil des ArbVG fallenden Betrieb. Bei einer - damals gegebenen - GmbH (einem Museum), die keine hoheitsrechtlichen, sondern privatrechtliche Aufgaben zu erfüllen hatte, habe es sich daher nicht um eine "sonstige Verwaltungsstelle des Landes" handeln können. Nach § 34 Abs 1 ArbVG - so im zitierten Erkenntnis weiter - gelte als Betrieb jede Arbeitsstätte, die eine organisatorische Einheit bilde, innerhalb der eine physische oder juristische Person oder eine Personengemeinschaft mit technischen oder immateriellen Mitteln die Erzielung bestimmter Arbeitsergebnisse fortgesetzt verfolge, ohne Rücksicht darauf, ob Erwerbsabsicht bestehe oder nicht. Ein Betrieb iSd § 34 ArbVG müsse - neben den anderen dort genannten Voraussetzungen - aber auch über Arbeitnehmer iSd ArbVG verfügen. Auf Grund des weiten Arbeitnehmerbegriffes des § 36 Abs 1 ArbVG, wonach es grundsätzlich nur auf ein faktisches Beschäftigungsverhältnis, das durch persönliche und wirtschaftliche Abhängigkeit gegenüber dem Betriebsinhaber gekennzeichnet sei, im Rahmen eines Betriebes ankomme, seien sohin auch Beamte Arbeitnehmer iSd Betriebsverfassung, wenn sie in einem Betrieb eingegliedert seien, der in den Geltungsbereich des II. Teiles des ArbVG falle.

 

Entgegen der im angefochtenen Bescheid vertretenen Auffassung ist nicht entscheidend, wem die wasserrechtliche Bewilligung für die Anlage, um deren Zuordnung es geht, erteilt wurde. Entscheidend ist unter dem Blickwinkel der Zuordnung des Schutzes der dort beschäftigten Arbeitnehmer allein die Qualifikation als "Verwaltungsstelle" (Schutz nach dem Bundesbediensteten-Schutzgesetz oder nach den entsprechenden Landesgesetzen) oder als "Betrieb" (Schutz nach dem ArbIG).

 

Im vorliegenden Fall sind die Voraussetzungen des § 34 Abs 1 ArbVG für das Vorliegen eines Betriebes gegeben, zumal die hier in Rede stehende Tätigkeit (der Betrieb einer Abwasseranlage) auch von einer privaten Institution ausgeübt werden könnte. Es kann sich daher nicht um eine "sonstige Verwaltungsstelle" der Gemeinde handeln. Auch die beispielhafte Aufzählung von "E-Werken, Gaswerken, Krankenanstalten und Theaterbetrieben" in den Erläuterungen zu § 1 Abs 3 ArbIG legt es nahe, die hier verfahrensgegenständliche Kläranlage als einen Betrieb iS dieser Bestimmung zu verstehen, in dem Bedienstete der Gemeinde beschäftigt sind. Daraus folgt die Zuständigkeit des Arbeitsinspektorates.

 

Da die Bediensteten somit in einem "Betrieb" arbeiten, ist die Ausnahme vom Anwendungsbereich des ArbIG gem § 1 Abs 3 leg cit nicht gegeben. Diese Bestimmung bleibt daher anwendbar, dem Arbeitsinspektorat war die Parteistellung im Verwaltungsverfahren zu gewähren. Die Zurückweisung der Berufung des Arbeitsinspektorats mangels Parteistellung erweist sich daher als rechtswidrig.