09.11.2011 Sonstiges

VwGH: Inhaltliche Grundsätze gem § 10 ORF-G

Ausführungen hinsichtlich dem Aufreizen zu Hass (Abs 2) und Überprüfung der Richtigkeit der Information (Abs 5 und 7)


Schlagworte: ORF, inhaltliche Grundsätze, Aufreizen zu Hass, Überprüfung der Richtigkeit der Information
Gesetze:

§ 10 ORF-G

GZ 2011/03/0031, 17.03.2011

 

Im Zusammenhang mit dem behaupteten Verstoß gegen § 10 Abs 2 ORF-G führt die Beschwerde aus, sie habe vorgebracht, dass Fernsehsendungen wie die gegenständliche grundsätzlich geeignet seien, Hassgefühle zu erwecken.

 

VwGH: Dem ist zu erwidern, dass die strittige Sendung - ungeachtet ihres kritischen Untertons - nicht geeignet war, einen (maßgeblichen) Durchschnittsbetrachter unter Berücksichtigung des Gesamteindrucks zu Hassgefühlen gegen die Glaubensgemeinschaft der J und ihre Mitglieder aufzureizen (vgl zum "Aufreizen" als Tatbestandsmerkmal auch § 283 StGB und dessen Auslegung etwa Fabrizy, StGB9 (2006), § 283 Rz 2; Hinterhofer in Trifterer/Rosbaud/Hinterhofer, Salzburger Kommentar zum StGB (2001), § 283 Rz 19 mwN). Daran vermag auch der Umstand, dass nach dem Vorbringen der bf Parteien in der Vergangenheit (nach kritischer Berichterstattung über diese Glaubensgemeinschaft) Übergriffe durch einzelne Kriminelle stattgefunden haben, nichts zu ändern. Einen Verstoß gegen § 10 Abs 2 ORF-G hat die belangte Behörde daher zu Recht verneint.

 

Soweit die Beschwerde aber eine Verletzung der § 10 Abs 5 und 7 ORF-G (als Elemente des Objektivitätsgebotes) geltend macht, zeigt sie im Ergebnis relevante Verfahrensmängel auf, die zur Aufhebung des angefochtenen Bescheides in diesem Umfang führen müssen:

 

In der Beschwerde an die belangte Behörde erblickten die bf Parteien die Verletzung der genannten Bestimmungen darin, dass eine unrichtige Nachricht (Verweigerung einer Bluttransfusion für ein Kind, dessen Eltern der Glaubensgemeinschaft der J angehörten; anschließende "Entmündigung" der Eltern und Durchführung der Bluttransfusion gegen deren Willen; darauffolgende "Freigabe" des Kindes zur Adoption durch die Eltern) gesendet worden sei. Vor der Ausstrahlung der Sendung sei "offenbar überhaupt kein Versuch unternommen" worden, die Richtigkeit der gesendeten Information zu überprüfen, wozu es nach Ansicht der bf Parteien insbesondere gehört hätte, die bf Parteien mit den zur Sendung vorgesehenen Vorwürfen zu konfrontieren. Der ORF habe somit durch die Ausstrahlung einer unwahren und tatsachenwidrigen Äußerung, deren mangelnden Wahrheitsgehalt er durch die Außerachtlassung der gebotenen journalistischen Sorgfalt schuldhaft nicht erkannt habe, und durch die Identifikation, Verallgemeinerung und Verstärkung der wahrheitswidrigen Behauptungen gegen § 10 Abs 5 und 7 ORF-G verstoßen.

 

In einer zu diesem Vorwurf erstatteten Stellungnahme vom 6. Juni 2006 brachte die mitbeteiligte Partei vor, es entspreche den Tatsachen, dass ein damals zehnjähriger Bub von seinen Eltern nach einer Bluttransfusion zur Adoption freigegeben worden sei. Zum Beweis dafür berief sie sich auf drei namentlich genannte Zeugen (aus dem Bereich des betroffenen Krankenhauses), darunter den interviewten Oberarzt Dr W H und eine Oberschwester S H. Im verfahrensgegenständlichen Beitrag sei im Übrigen auch ein Vertreter der Erstbeschwerdeführerin zu Wort gekommen.

 

Über Nachfrage der belangten Behörde, ob die leiblichen Eltern oder die Adoptiveltern des Kindes, das nach der Bluttransfusion angeblich zur Adoption freigegeben worden sei, dazu befragt worden seien oder ob sonstige Recherchen angestellt worden seien, um die Richtigkeit des Interviews mit Oberarzt Dr W H zu überprüfen, teilte die mitbeteiligte Partei der belangten Behörde mit Schriftsatz vom 24. Oktober 2006 mit, dass mit den leiblichen Eltern bzw den Adoptiveltern des Kindes von der Redakteurin kein Kontakt aufgenommen werden konnte, weil in der Zeit der Berichterstattung der Arzt auf das Berufsgeheimnis verwiesen habe. Erst im Zuge des gegenständlichen Verfahrens habe sich herausgestellt, dass weder der Arzt, Dr W H, noch die Krankenschwester, Oberschwester S H, die den Vorfall im Zuge der Recherchen bestätigt hätten, aufgrund der mittlerweile vernichteten Operationsunterlagen den Namen des operierten Kindes noch wüssten. So war und sei es der Redakteurin auch nicht möglich, zu einem der Betroffenen Kontakt aufzunehmen.

 

Die Verwaltungsakten lassen nicht erkennen, dass der letztgenannte Schriftsatz den bf Parteien vor Erlassung des angefochtenen Bescheides zur Kenntnis gebracht worden wäre.

 

Die belangte Behörde ließ in ihrer Entscheidung dahingestellt, ob die berichteten Tatsachen richtig waren.

 

Sie sah die Vorgaben des § 10 Abs 5 und 7 ORF-G dadurch als erfüllt an, dass der ORF die strittigen Tatsachen "von dem behandelnden Arzt bekommen" hätte, der den Sachverhalt im Interview öffentlich gemacht habe. Seine Angaben seien "von einer weiteren Mitarbeiterin des Krankenhauses bestätigt" worden; die Namen des Kindes, der leiblichen Eltern und der Adoptiveltern habe der Arzt unter Hinweis auf sein Berufsgeheimnis nicht bekannt gegeben. Unter diesen gegebenen Umständen sei es dem ORF nicht zumutbar gewesen, weitere Nachforschungen anzustellen.

 

Die belangte Behörde hat ihrer Entscheidung damit das Vorbringen der mitbeteiligten Partei in ihrem Schriftsatz vom 24. Oktober 2006 über die vorgenommenen Recherchen zugrunde gelegt, ohne Beweise aufzunehmen und ohne in der angefochtenen Entscheidung darzulegen, warum sie dieses Vorbringen für glaubwürdig erachtete.

 

Da den bf Parteien nach der Aktenlage auch keine Gelegenheit gegeben wurde, zu diesem Vorbringen der mitbeteiligten Partei im Verfahren vor der belangten Behörde Stellung zu nehmen, unterliegt ihr in diesem Zusammenhang in der Beschwerdeergänzung an den VwGH erstattetes Vorbringen auch nicht dem Neuerungsverbot im verwaltungsgerichtlichen Verfahren.

 

Wenn die bf Parteien daher ausführen, die belangte Behörde habe in obigen Zusammenhängen ihr Parteiengehör verletzt bzw erforderliche Beweise nicht aufgenommen und die Relevanz dieser Verfahrensmängel damit begründen, dass es ihnen im Falle eines mängelfreien Verfahrens gelungen wäre unter Beweis zu stellen, dass vor Ausstrahlung der gegenständlichen Sendung "überhaupt kein Versuch unternommen" worden sei, die Richtigkeit der gesendeten (behauptetermaßen unrichtigen) Information zu überprüfen, zeigen sie entscheidungswesentliche Verfahrensmängel auf.

 

Die belangte Behörde wird im fortgesetzten Verfahren - anders als bisher - nachvollziehbare Feststellungen darüber zu treffen haben, ob der ORF die Nachricht mit einem solchen Maß an Sorgfalt auf den Wahrheitsgehalt geprüft hat, dass er ihn als wahr annehmen durfte. Dazu wird es allenfalls auch erforderlich sein darzutun, aus welchen Gründen die belangte Behörde davon ausgeht, dass es sich bei dem Interviewpartner der Redakteurin des ORF, Dr W H, überhaupt um den behandelnden Arzt des damals operierten Kindes gehandelt hat, der demnach aus eigener Beobachtung - und nicht nur vom Hörensagen - Auskunft über das Geschehen geben konnte (aus der gesendeten Nachricht allein lässt sich diese Annahme nämlich nicht ableiten). Auch wird zu prüfen sein, aufgrund welcher Umstände bzw Informationen die Redakteurin des ORF davon ausgehen durfte, dass dieser Arzt und/oder anderes medizinisches Personal über die postoperative Freigabe des Kindes zur Adoption Auskunft geben konnte. Erst anhand dieser Ermittlungen ließe sich nämlich beurteilen, ob die für ihre Entscheidung tragende (und in ihrer rechtlichen Konsequenz nicht zu beanstandende) Annahme der belangten Behörde, dass im gegenständlichen Fall nicht "irgendein Arzt sozusagen vom Hörensagen", sondern der "behandelnde Arzt", der der ärztlichen Schweigepflicht unterlegen sei, Auskunft gegeben habe, zutrifft.