16.11.2011 Baurecht

VwGH: Zulässigkeit einer Bescheidbeschwerde gem Art 131 B-VG iZm Genehmigung eines Bundesstraßenbauvorhabens gem § 23a UVP-G 2000 oder Zuständigkeit des Umweltsenates (auch) zur Entscheidung über Berufungen gegen Bescheide der Bundesministerin für Verkehr, Innovation und Technologie in Angelegenheiten der Umweltverträglichkeitsprüfung nach dem 3. Abschnitt des UVP-G 2000?

Zur Entscheidung über Beschwerden der Bundesministerin für Verkehr, Innovation und Technologie in Angelegenheiten der Umweltverträglichkeitsprüfung gem § 23a Abs 1 UVP-G 2000 (Bundesstraßenbauvorhaben) ist der VwGH zuständig


Schlagworte: Umweltverträglichkeitsprüfung, Genehmigung eines Bundesstraßenbauvorhabens, Bescheidbeschwerde, Erschöpfung des Instanzenzuges, Umweltsenat
Gesetze:

§ 23a UVP-G 2000, § 40 UVP-G, § 5 USG, Art 10a UVP-RL, Art 131 B-VG

GZ 2010/06/0002, 24.08.2011

 

VwGH: Im 3. Abschnitt des UVP-G 2000 ist die UVP für Bundesstraßen (§ 23a) und Hochleistungsstrecken (§ 23b) geregelt. Gem § 24 Abs 1 UVP-G 2000 hat, wenn ein Vorhaben gem § 23a oder § 23b einer Umweltverträglichkeitsprüfung zu unterziehen ist, der Bundesminister/die Bundesministerin für Verkehr, Innovation und Technologie die Umweltverträglichkeitsprüfung und ein teilkonzentriertes Genehmigungsverfahren durchzuführen. Nach § 40 Abs 1 UVP-G 2000 ist in den Angelegenheiten des ersten und zweiten Abschnittes der Umweltsenat Berufungsbehörde. Dementsprechend sieht auch § 5 USG 2000 vor, dass der Umweltsenat über Berufungen in Angelegenheiten des ersten und zweiten Abschnittes des Umweltverträglichkeitsprüfungsgesetzes entscheidet.

 

Der VwGH hat bisher in seinen Erkenntnissen vom 25. November 2008, 2008/06/0026, und vom 23. September 2010, 2009/06/0196, 0197, Beschwerden betreffend die Genehmigung von Bundesstraßenvorhaben gem § 23a Abs 1 UVP-G 2000 für zulässig erachtet und in der Sache behandelt.

 

Der VwGH hat in seinen Beschlüssen vom 30. September 2010, 2010/03/0051, 0055 bzw 2009/03/0067 ua, in Bezug auf Eisenbahnvorhaben gem § 23b Abs 1 UVP-G 2000 die Ansicht vertreten, dass im Lichte der Rsp des EuGH zu dem Grundsatz des effektiven gerichtlichen Rechtsschutzes (Urteil des Gerichtshofes vom 18. März 2010, C- 317/08, Allassini, Rn 61) und zu dem Erfordernis der (gerichtlichen) Überprüfbarkeit von Entscheidungen einer nationalen Behörde die Rechtsschutzbestimmung des Art 10a der Richtlinie 85/337/EWG des Rates vom 27. Juni 1985 über die Umweltverträglichkeitsprüfung bei bestimmten öffentlichen und privaten Projekten (in der Fassung der Richtlinie 2003/35/EG des Europäischen Parlamentes und des Rates vom 26. Mai 2003 über die Beteiligung der Öffentlichkeit bei der Ausarbeitung bestimmter umweltbezogener Pläne und Programme und zur Änderung der Richtlinien 85/33/EWG und 96/61/EG des Rates in Bezug auf die Öffentlichkeitsbeteiligung und den Zugang zu Gerichten; im Folgenden: UVP-RL) dahin auszulegen sei, dass die Kognitionsbefugnis des nachprüfenden Gerichtes eine umfassende zu sein habe, insbesondere eine volle Tatsachenkognition. Einschränkend führte er dazu im Folgenden aus, dass im vorliegenden Bereich der Umweltverträglichkeitsprüfung, in dem regelmäßig Tatsachen für die Genehmigungsfähigkeit eine besondere Rolle spielten, und im vorliegenden Falle, in dem die Richtigkeit des von der belangten Behörde angenommenen Sachverhalts unter Bezugnahme auf eigene Sachverständigengutachten (gemeint von den bf Projektgegnern vorgelegte Privatgutachten) in Zweifel gezogen werde, eine gerichtliche Kontrollinstanz, die mit voller Tatsachenkognition ausgestattet sei, im Anwendungsbereich der UVP-RL, in dem das Unionsrecht jedenfalls ein spezifisches Rechtsschutzgebot vorsehe, vom VwGH in seiner Funktion als Höchstgericht und auf der Grundlage der von ihm anzuwendenden Rechtsvorschriften nicht ersetzt werden könne.

 

Unter Beachtung des Anwendungsvorranges für Unionsrecht vor widersprechendem innerstaatlichem Recht legte der VwGH die Zuständigkeitsbestimmungen im UVP-G 2000 und im USG dahin aus, dass die die Zuständigkeit des Umweltsenates auf Angelegenheiten des 1. und 2. Abschnittes des UVP-G 2000 beschränkenden Rechtsvorschriften unangewendet zu lassen seien, sodass der Umweltsenat auch zur Entscheidung über Berufungen gegen Bescheide der Bundesministerin für Verkehr, Innovation und Technologie in Angelegenheiten der Umweltverträglichkeitsprüfung nach dem 3. Abschnitt des UVP-G 2000 - soweit dies unionsrechtlich geboten sei - zuständig sei.

 

Der VwGH wies daher die gegen Bescheide der Bundesministerin für Verkehr, Innovation und Technologie gerichteten Beschwerden wegen Nichterschöpfung des Instanzenzuges zurück.

 

Die Mitbeteiligte stellt fest, der VwGH widerspreche in den obgenannten Beschlüssen seiner bisherigen stRsp, dass er über ausreichende Nachprüfungsbefugnisse verfüge. Art 10a iVm Art 6 Abs 4 UVP-RL habe nicht den in diesen Beschlüssen angenommenen Inhalt; insbesondere verlange Art 47 GRC nicht die volle Kognitionsbefugnis zur Überprüfung von Entscheidungen im 3. Abschnitt des UVP-G 2000. Selbst wenn Art 10a UVP-RL erweiterte Nachprüfungsbefugnisse erforderte, wäre dies keinesfalls klar iSd acte-claire-Doktorin und müsste dem EuGH zur Vorabentscheidung vorgelegt werden. Selbst wenn Art 10a UVP-RL volle Kognitionsbefugnisse erforderte, wäre vielmehr § 41 Abs 1 VwGG unangewendet zu lassen, um zu einer gleichermaßen verfassungs- wie unionsrechtskonformen Lösung zu kommen.

 

Mittlerweile hat der VfGH zu einer von der Bundesministerin für Verkehr, Innovation und Technologie bewilligten Wiedereinsetzung des Verfahrens in einem der Fälle, die Gegenstand der genannten Beschlüsse des VwGH vom 30. September 2010 waren, ausgesprochen (Erkenntnis vom 28. Juni 2011, B 254/11-18), dass die Kognitionsbefugnis des VwGH gem Art 6 EMRK und Art 47 GRC als ausreichend anzusehen und Art 10a UVP-RL nicht unmittelbar anwendbar sei. Der VfGH ging davon aus, dass eine Verletzung im verfassungsgesetzlich gewährleisteten Recht auf ein Verfahren vor dem gesetzlichen Richter auch darin liegen könne, dass die belangte Behörde zu Unrecht einen offenkundigen Widerspruch zwischen innerstaatlichen Zuständigkeitsvorschriften und Unionsrecht verneint oder aber umgekehrt - wie im vorliegenden Fall - einen solchen annimmt und in der Folge Zuständigkeitsvorschriften des innerstaatlichen Rechtes unangewendet lässt, obwohl ein Widerspruch zum Unionsrecht offenkundig auszuschließen ist. Ein solcher Fall sei hier vorgelegen, weil der belangten Behörde insofern ein verfassungsrechtlich relevanter Vollzugsfehler anzulasten sei, als diese unter Berufung auf das Recht der Europäischen Union die in § 40 Abs 1 UVP-G 2000 und § 5 Bundesgesetz über den Umweltsenat (USG) vorgesehene Beschränkung der Zuständigkeit des Umweltsenates auf Angelegenheiten des 1. und 2. Abschnitts des UVP-G 2000 nicht anwendet, dementsprechend das Bestehen eines Instanzenzuges an den Umweltsenat annimmt und infolge dessen die Bewilligung der Wiedereinsetzung in den vorigen Stand wegen Versäumung der Berufungsfrist ausgesprochen hat.

 

Der VwGH hat - wie erwähnt - bisher in Angelegenheiten der Umweltverträglichkeitsprüfung gem § 23a Abs 1 UVP-G 2000 (Bundesstraßenbauvorhaben) seine Zuständigkeit zur Entscheidung über Beschwerden der Bundesministerin für Verkehr, Innovation und Technologie angenommen.

 

Aus dem angeführten Erkenntnis des VfGH vom 28. Juni 2011, B 254/11-18, ergibt sich, dass die vom VfGH vertretene Auffassung, der VwGH sei in Verfahren betreffend die UVP-Genehmigung gem § 23b UVP-G 2000 (3. Abschnitt UVP-G 2000) ohne vorherige Befassung einer weiteren Instanz zuständig, verfassungsrechtlich geboten ist. Bei anderer Auslegung würden die Verfahrensparteien in dem verfassungsgesetzlich gewährleisteten Recht auf den gesetzlichen Richter verletzt bzw würden die Zuständigkeitsbestimmungen des UVP-G 2000 wegen zu Unrecht angenommenen Anwendungsvorranges in verfassungswidriger Weise angewendet. Der im vorliegenden Fall erkennende Senat schließt sich dieser Auffassung des VfGH an.

 

Der VwGH geht daher in der vorliegenden Angelegenheit einer UVP-Genehmigung gem § 23a Abs 1 UVP-G  2000 davon aus, dass er im Lichte des Beschwerdevorbringens eine ausreichende Überprüfung gem Art 10a UVP-RL gewährleistet, sodass das Unionsrecht im vorliegenden Fall keine Verdrängung innerstaatlicher Normen des UVP-G 2000 gebietet. Mit der Entscheidung der Bundesministerin für Verkehr, Innovation und Technologie ist der Instanzenzug als erschöpft anzusehen und der VwGH zur Entscheidung über die dagegen erhobene Beschwerde gem Art 131 Abs 1 Z 1 B-VG zuständig.