16.11.2011 Arbeitsrecht

VwGH: BEinstG – ist ein Antrag des Behinderten auf Streichung aus dem Kreis der begünstigten Behinderten zulässig?

Es ist grundsätzlich der freien Disposition des Behinderten überlassen, ob er dem Kreis der begünstigten Behinderten angehören möchte


Schlagworte: Behinderteneinstellungsrecht, Feststellung der Zugehörigkeit zum Kreis der begünstigten Behinderten, Antrag, Verzicht, Zulässigkeit
Gesetze:

§ 14 BEinstG

GZ 2009/11/0009, 30.09.2011

 

Mit Bescheid des Bundessozialamtes Wien, Niederösterreich und Burgenland vom 1. Juni 2001 war aufgrund eines Antrags des Bf gem § 14 Abs 2 BEinstG festgestellt worden, dass der Bf mit einem Grad der Behinderung von 70 vH dem Kreis der begünstigten Behinderten angehört.

 

Am 4. September 2007 begehrte der Bf unter Verwendung des Formulars "Antrag auf Feststellung der Zugehörigkeit zum Personenkreis der begünstigten Behinderten" die "Streichung aus dem Kreis der ‚begünstigten' Personen". Begründend erläuterte er, dass die Zugehörigkeit zum Kreis der begünstigten Behinderten seine Arbeitssuche erheblich erschweren würde.

 

VwGH: Weder aus der Aktenlage noch aus dem Beschwerdevorbringen ergeben sich konkrete Anhaltspunkte dafür, dass für den Bf ein Sachwalter bestellt worden oder seine Prozessfähigkeit beeinträchtigt gewesen wäre. Die belangte Behörde hatte ihrer Entscheidung daher den Antrag des Bf vom 4. September 2007 und seine im Verfahren mehrfach erfolgten Präzisierungen und Erläuterungen zugrunde zu legen. Diesen ist eindeutig und unmissverständlich zu entnehmen, dass der Bf mit seiner Zugehörigkeit zum Kreis der begünstigten Behinderten nicht (mehr) einverstanden war und auf seine Begünstigungen nach dem BEinstG verzichten wollte, weil er die Begünstigteneigenschaft als Hindernis bei der Arbeitssuche empfand.

 

Die belangte Behörde vertrat die Ansicht, mangels einer entsprechenden Bestimmung im BEinstG sei es ihr verwehrt, dem Verlangen auf Aberkennung der Begünstigteneigenschaft nachzukommen, wenn ein Grad der Behinderung von mindestens 50 vH vorliege.

 

Der VwGH teilt diese Rechtsansicht der belangten Behörde nicht.

 

Die Aufnahme in den Kreis der begünstigten Behinderten erfolgt aus dem Blickwinkel der öffentlichen Interessen, va unter Berücksichtigung der persönlichen Betroffenheit, sohin der persönlichen Interessen des Behinderten. Das Recht, dem Kreis der begünstigten Behinderten anzugehören, ist ein subjektivöffentliches Recht des Behinderten. Nur er ist Partei des - auf seinen Antrag zu führenden - Feststellungsverfahrens nach § 14 Abs 2 BEinstG; einem Arbeitgeber etwa kommt in diesem Verfahren (da ihm in der Sache kein subjektiv-öffentliches Recht eingeräumt ist) keine Parteistellung zu.

 

Im vorliegenden Fall ist das Begehren des Bf unverkennbar ein Verzicht auf das ihm aus dem BEinstG zukommende subjektiv-öffentliche Recht, dem Kreis der begünstigten Behinderten anzugehören.

 

Entgegen der Ansicht der belangten Behörde folgt aus dem Fehlen einer einen derartigen Verzicht ausdrücklich zulassenden Bestimmung im Gesetz noch nicht, dass dieser unzulässig wäre.

 

Vielmehr ist ein Verzicht auf subjektive öffentlichrechtliche Ansprüche im öffentlichen Recht zulässig, wenn nicht eine gesetzliche Bestimmung ausdrücklich etwas anderes anordnet oder öffentliche Interessen entgegenstehen. Die Voraussetzungen, unter welchen ein Verzicht auf solche Ansprüche rechtswirksam wird, richten sich nach der für den bestimmten Anspruch getroffenen gesetzlichen Regelung.

 

Eine "Zwangsverpflichtung" der Zugehörigkeit zum Kreis der begünstigten Behinderten kann dem BEinstG schon deshalb nicht entnommen werden, weil es in der Ingerenz des einzelnen - nicht bereits nach § 14 Abs 1 leg cit ex lege begünstigten - Behinderten liegt, einen Antrag gem § 14 Abs 2 BEinstG zu stellen. Aber auch eine Unzulässigkeit des Verzichts auf die bereits bestehende Begünstigteneigenschaft ergibt sich aus dem Gesetz nicht. Dieses geht vielmehr grundsätzlich von der Dispositionsfreiheit des begünstigten Behinderten aus.

 

So sollte die in § 14 Abs 1 BEinstG geregelte ex lege-Begünstigung von Personen, die über einen Nachweis gem lit a bis d leg cit verfügen, gänzlich abgeschafft werden. In den EB zur RV heißt es dazu:

 

"Da aus der Zugehörigkeit zum Personenkreis der begünstigten Behinderten Rechte und Pflichten erwachsen, zB der besondere Kündigungsschutz, soll künftig von der ex-lege Begünstigung abgegangen und die Zugehörigkeit in jedem Fall von einem Antrag des Behinderten abhängig gemacht werden. Es soll somit ausschließlich von der Disposition des Behinderten abhängen, ob die Zugehörigkeit zum begünstigten Personenkreis gewünscht wird."

 

Durch einen Abänderungsantrag im Ausschuss für Arbeit und Soziales erfuhr dieser Entwurf allerdings eine Abschwächung und es wurde mit der Novelle des BEinstG, BGBl I Nr 17/1999, in § 14 Abs 1 letzter Satz BEinStG die seither geltende Befristung der "ex-lege-Begünstigung", die durch Erklärung des Behinderten in eine unbefristete Zugehörigkeit umgewandelt werden kann, eingeführt. Begründend heißt es dazu im Ausschussbericht:

 

"Um (…) soziale(…) Härten zu vermeiden, soll die Ex-lege-Begünstigung grundsätzlich beibehalten werden. Um aber den behinderten Menschen die freie Entscheidung darüber zu ermöglichen, ob sie dem Personenkreis der begünstigten Behinderten angehören wollen oder nicht, soll die Ex-lege-Begünstigung nur befristet gelten."

 

Nach dem Willen des Gesetzgebers soll es somit grundsätzlich der freien Disposition des Behinderten überlassen sein, ob er dem Kreis der begünstigten Behinderten angehören möchte. Während den "ex-lege Begünstigten" schon durch die Befristung der Begünstigteneigenschaft ein "Ausstieg" aus dem Kreis der begünstigten Behinderten explizit ermöglicht wird, ist dies bei Behinderten, deren Begünstigteneigenschaft auf Antrag festgestellt wurde, zwar nicht der Fall. Es ist jedoch kein Grund ersichtlich, warum letzteren ein Verzicht auf ihre weitere Zugehörigkeit zum Kreis der begünstigten Behinderten verwehrt sein sollte.

 

Der Verzicht des Bf auf seine Begünstigteneigenschaft erweist sich somit entgegen der Ansicht der belangten Behörde als zulässig. Die Voraussetzungen, unter welchen ein Verzicht auf solche Ansprüche rechtswirksam wird, richten sich nach der für den bestimmten Anspruch getroffenen gesetzlichen Regelung. Unter der Überschrift "Feststellung der Begünstigung" regelt § 14 Abs 2 BEinstG, dass die Zugehörigkeit zum Kreis der begünstigten Behinderten mit Bescheid festzustellen ist. Davon ausgehend ist es folgerichtig, wenn der Bf - wie aus seinen selbstverfassten Eingaben erkennbar und in der Beschwerde klargestellt - eine bescheidmäßige Feststellung, dass er "nicht zum Kreis der begünstigten Behinderten zählt", begehrt, stellt diese doch den "contrarius actus" zur früher erfolgten Feststellung der Zugehörigkeit dar. Überdies ist im konkreten Fall im Hinblick auf die zwischen der Behörde und dem Bf strittige Frage der Wirksamkeit der Verzichtserklärung die Erlassung eines Feststellungsbescheides sowohl im Interesse des Bf als auch im öffentlichen Interesse zur Klarstellung, dass der Bf nicht mehr anspruchsberechtigt ist, notwendiges Mittel der Rechtsverfolgung.