23.11.2011 Sozialrecht

VwGH: Ende der Pflichtversicherung bei einvernehmlicher Auflösung des Dienstverhältnisses während des Krankenstandes?

Ausschließlich dann, wenn die Auflösung des Dienstverhältnisses wirklich beabsichtigt ist, was auch anhand der tatsächlichen Gegebenheiten (§ 539a Abs 3 ASVG) zu untersuchen ist, liegt ein zulässiger Zweck einer solchen Vereinbarung vor, der - ungeachtet dessen, dass auch damit ein Entfall der Entgeltfortzahlungspflicht verbunden ist - die Vereinbarung auch nach § 539a ASVG als beachtlich erscheinen lässt


Schlagworte: Allgemeines Sozialversicherungsrecht, Ende der Pflichtversicherung, einvernehmliche Auflösung des Dienstverhältnisses während des Krankenstandes, Beendigungswille, Entgeltfortzahlung
Gesetze:

§ 5 EFZG, § 4 ASVG, § 539a ASVG, § 869 ABGB, § 37 AVG, § 11 ASVG

GZ 2008/08/0176, 27.04.2011

 

Die belangte Behörde geht im Rahmen der rechtlichen Beurteilung davon aus, die einvernehmliche Lösung des Dienstverhältnisses sei alleine in der Absicht erfolgt, die Anwendung des EFZG zu umgehen, es liege daher ein Missbrauch von Gestaltungsmöglichkeiten des bürgerlichen Rechts vor, zumal die Wiederbeschäftigung des Dienstnehmers unmittelbar nach seinem Krankenstand erfolgt sei.

 

VwGH: Ein Missbrauch von Formen und Gestaltungsmöglichkeiten des bürgerlichen Rechts iSd § 539a ASVG liegt dann vor, wenn die Gestaltung der rechtlichen Verhältnisse anders als mit der Absicht der Umgehung gesetzlicher Verpflichtungen nicht erklärt werden kann. An die Stelle der nach der genannten Gesetzesstelle unbeachtlichen Rechtskonstruktion tritt gem § 539a Abs 3 ASVG jene, die den wirtschaftlichen Vorgängen, Tatsachen und Verhältnissen angemessen wäre. Scheingeschäfte bleiben nach Abs 4 der erwähnten Bestimmung ohne Bedeutung.

 

Die einvernehmliche Auflösung eines Arbeitsverhältnisses stellt zwar grundsätzlich keinen Missbrauch von Formen und Gestaltungsmöglichkeiten des bürgerlichen Rechts dar; es handelt sich dabei um eine von mehreren rechtlichen Möglichkeiten, ein Arbeitsverhältnis zu beenden. Insbesondere kann nicht gesagt werden, dass es geradezu missbräuchlich wäre oder dass es wirtschaftlich ganz ungewöhnlich wäre, die Absicht zur Auflösung eines Dienstverhältnisses nicht durch Kündigung zu verwirklichen, sondern durch eine Vereinbarung zwischen Arbeitgeber und Arbeitnehmer. Eine Auflösungsvereinbarung kann angesichts der differenzierenden Regelung des § 5 EFZG auch "bei wirtschaftlicher Betrachtungsweise" nicht einer Arbeitgeberkündigung gleichgehalten werden. Ein "Umgehungsgeschäft" könnte die Vereinbarung nur dann sein, wenn der Bestand des Arbeitsverhältnisses schlechthin Schutzobjekt der §§ 5 und 6 EFZG wäre. § 6 EFZG schützt zwar - unter gewissen Voraussetzungen - die Entgeltfortzahlungspflicht, nicht aber den Bestand des Arbeitsverhältnisses; § 5 EFZG ist wiederum nicht auf einvernehmliche Auflösungen anwendbar.

 

Entscheidend dafür, ob eine einvernehmliche Auflösung des Dienstverhältnisses wirksam zustande gekommen ist, ist aber, ob die Parteien überhaupt die Absicht hatten, das Beschäftigungsverhältnis dauernd zu beenden, ob also ein Beendigungswille bestand. Im hier vorliegenden Fall wurde der Dienstnehmer jedoch nach Ende der Arbeitsunfähigkeit infolge Krankheit umgehend wieder als Dienstnehmer zur Sozialversicherung angemeldet.

 

Für das Vorliegen einer einvernehmlichen Auflösung im Krankenstand, insbesondere dafür, dass der Dienstnehmer diese Auflösung aus freien Stücken wirklich wollte, ist grundsätzlich der Dienstgeber beweispflichtig. Dies fällt besonders dann ins Gewicht, wenn die Initiative zur einvernehmlichen Auflösung des Dienstverhältnisses nicht vom Dienstnehmer ausgegangen ist und wenn ein Dienstgeber - wie hier aus seinem eigenen Vorbringen im Verwaltungsverfahren ersichtlich - es systematisch unternimmt, mit Dienstnehmern, die sich in voraussichtlich etwas längeren Krankenständen befinden, schon nach wenigen Tagen durch einen "Kundenberater" Kontakt aufzunehmen mit dem Ziel, eine einvernehmliche Auflösung des Beschäftigungsverhältnisses zu erreichen und dem Dienstnehmer dann ein - vom Dienstgeber formuliertes - "Bestätigungsschreiben" über die einvernehmliche Auflösung des Dienstvertrages zuzusenden oder - falls der Dienstnehmer damit nicht einverstanden ist - mit Kündigung vorzugehen. Die Absicht der Parteien, das Beschäftigungsverhältnis tatsächlich dauerhaft zu beenden, wird überdies regelmäßig durch eine Wiedereinstellungszusage oder durch eine faktische Wiedereinstellung nach dem Ende des Krankenstandes widerlegt.

 

Ausschließlich dann, wenn die Auflösung des Dienstverhältnisses wirklich beabsichtigt ist, was auch anhand der tatsächlichen Gegebenheiten (§ 539a Abs 3 ASVG) zu untersuchen ist, liegt ein zulässiger Zweck einer solchen Vereinbarung vor, der - ungeachtet dessen, dass auch damit ein Entfall der Entgeltfortzahlungspflicht verbunden ist - die Vereinbarung auch nach § 539a ASVG als beachtlich erscheinen lässt. Entfällt dieser Zweck, wie das tatsächliche Verhalten der Parteien im vorliegenden Fall einer Wiedereinstellung des Dienstnehmers nach Beendigung des Krankenstandes zeigt, dann bleibt - mangels konkreten (und im Beweisverfahren bestätigten) Vorbringens der bf Partei zu einem zulässigen anderen Zweck der Vereinbarung - nur die Umgehungsabsicht der Entgeltfortzahlungspflicht als denkbares Motiv übrig. Eine den wirtschaftlichen Vorgängen angemessene rechtliche Gestaltung (§ 539a Abs 3 ASVG) wäre in diesem Fall die Unterlassung der einvernehmlichen Auflösung. Die Pflichtversicherung wurde daher zu Recht für die gesamte Dauer des Anspruches auf Entgeltfortzahlung im Krankheitsfall festgestellt.