30.11.2011 Arbeitsrecht

VwGH: Dienstpflichtverletzung bei Auftritt in der Öffentlichkeit von im Krankenstand befindlichen Beamten?

Dass die (unter Depressionen leidende) Beamtin "sehr wohl die physische und psychische Kraft" gefunden hat, "sich der durchaus aufregenden Situation einer Fernsehaufnahme zu stellen", kann ihr nicht als Dienstpflichtverletzung angelastet werden, weil die belangte Behörde selbst davon ausgeht, dass die Beamtin nach Rücksprache mit ihrem Arzt gehandelt und dieser sie zu diesem Vorgehen ermuntert habe


Schlagworte: Beamtendienstrecht, Disziplinarrecht, Dienstpflichtverletzung, Krankenstand, Depressionen, Auftritt in der Öffentlichkeit, Fernsehshow
Gesetze:

§ 43 BDG, §§ 91 ff BDG, § 18 Wiener DO, § 76 Wiener DO

GZ 2008/09/0021, 14.10.2011

 

Die Bf hält den angefochtenen Bescheid deswegen für rechtswidrig, weil im Wiener Dienstrecht keine Bestimmung existiere, die es einem Beamten im Krankenstand verbiete, in der Öffentlichkeit aufzutreten bzw die dem Beamten den Kontakt mit anderen Menschen außerhalb der Wohnung untersage.

 

VwGH: Die Bf zeigt im Ergebnis eine Rechtswidrigkeit des angefochtenen Bescheides auf. Mit der disziplinarrechtlichen Beurteilung des Verhaltens von Beamten, die sich im Krankenstand befinden, hat sich der VwGH schon verschiedentlich auseinandergesetzt. In seinem Erkenntnis vom 18. Februar 1993, 92/09/0285, hat der VwGH die Teilnahme eines wegen einer endogenen Depression im Krankenstand befindlichen Beamten an einer Hochseeregatta im Ausland als eine Dienstpflichtverletzung gem § 43 Abs 1 BDG, wonach der Beamte verpflichtet ist, seine dienstlichen Aufgaben unter Beachtung der geltenden Rechtsordnung treu, gewissenhaft und unparteiisch mit den ihm zur Verfügung stehenden Mitteln aus eigenem zu besorgen, gewertet. Er hat die Verantwortung des Bf, wonach eine "Urlaubsreise" eines Beamten während eines Krankenstandes nur einen geringen Schuldgehalt erkennen lasse und keine oder nur unbedeutende Folgen nach sich ziehe, nicht geteilt, "weil gegen diese Annahme sowohl die negative Beispielswirkung für den Dienstbetrieb als auch der berechtigte Unmut der Öffentlichkeit sprechen".

 

In seinem Erkenntnis vom 21. Jänner 1998, 96/09/0012, hatte der VwGH eine "Urlaubsreise" eines wegen Rückenbeschwerden im Krankenstand befindlichen Beamten zu beurteilen. Er hat einen solchen, nicht genehmigten privaten Auslandsurlaub eines Beamten als einen Verstoß gegen die Dienstpflicht des § 21 Abs 3 des Oberösterreichischen Statutargemeinden-Beamtengesetzes gewertet, wonach der Beamte ua "in und außer Dienst das Standesansehen zu wahren" hat und des § 46 des OÖ Landesbeamtengesetzes 1993, wonach der Beamte verpflichtet ist, seine dienstlichen Aufgaben unter Beachtung der geltenden Rechtsordnung und der innerdienstlichen Regelungen treu, gewissenhaft und unparteiisch mit den ihm zur Verfügung stehenden Mitteln aus eigenem zu besorgen hat und sich hiebei von den Grundsätzen größtmöglicher Zweckmäßigkeit, Raschheit, Einfachheit und Kostenersparnis leiten zu lassen hat. Der VwGH hat unter Hinweis auf das angeführte hg Erkenntnis vom 18. Februar 1993, 92/09/0285, ausgeführt, dass eine Urlaubsreise trotz aufrechten Krankenstandes grundsätzlich geeignet ist, einen Verstoß gegen die Treuepflicht eines Beamten darzustellen. Die Frage der Rechtfertigung der Abwesenheit vom Dienst oder - wie hier - vom Ort des Krankenstandes, stelle eine von der Dienstbehörde zu beurteilende Frage dar, zu deren Beantwortung eine allenfalls zu bejahende medizinische Indikation lediglich die sachverhaltsmäßige Grundlage schaffe, weshalb sich die Schuldfrage betreffend die Rechtfertigung des Beamten nicht mit Erfolg ausschließlich auf ein allenfalls positives medizinisches Kalkül stützen könne. Vielmehr hätte es von Seiten des Beamten vor Antritt der Reise einer Kontaktnahme mit der Dienstbehörde bedurft.

 

Das hg Erkenntnis vom 4. April 2001, 98/09/0078, betraf die Teilnahme an einem Tennisturnier durch einen nach einer Knieoperation (arthroskopische Meniskusteilentfernung) im Krankenstand befindlichen Beamten, dem als Therapie vorsichtiges Radfahren und Heilgymnastik mit physikalischer Therapie ärztlich empfohlen worden war, und wurde vom VwGH als Verletzung der - auch im vorliegenden Fall einschlägigen - Dienstpflicht des § 18 Abs 2 zweiter Satz DO 1994 qualifiziert.

 

Im vorliegenden Fall hat die belangte Behörde den Schuldspruch der Bf wegen ihrer Mitwirkung an einer Fernsehaufnahme zu einer Folge der Show verhängt. Die Bf habe ihre Dienstpflicht "gem § 18 Abs 2 DO 1994 "im Dienst und außer Dienst alles zu vermeiden, was die Achtung und das Vertrauen, die seiner (des Beamten) Stellung entgegen gebracht werden, untergraben könnte".

 

Unbestritten ist zwischen den Parteien, dass sich die Bf im verfahrensgegenständlichen Zeitraum wegen einer Depression im Krankenstand befand, die Abwesenheit der Bf vom Dienst war daher gerechtfertigt. Die belangte Behörde stellt auch die Verantwortung der Bf nicht in Abrede, dass die "Teilnahme am öffentlichen Leben" einen Teil der Therapie für diese gewesen ist. Die belangte Behörde räumt auch ausdrücklich ein, es ergäben sich aus dem Verfahren keine Hinweise dafür, dass der Fernsehauftritt dem Heilungsprozess abträglich gewesen wäre.

 

Nach Auffassung der belangten Behörde ergäben sich aber sehr wohl Hinweise dafür, dass das Verhalten der Bf geeignet gewesen sei, das Ansehen der Beamten der Stadt Wien in der Öffentlichkeit zu schädigen.

 

Diese Argumentation vermag indes jedoch deswegen nicht zu überzeugen, weil im vorliegenden Fall die belangte Behörde den Aspekt einer Beeinträchtigung des Heilungsprozesses selbst ausgeschlossen hat. Wenn die belangte Behörde meint, die Teilnahme der Bf an der Fernsehaufzeichnung sei ebenso wie die Teilnahme eines Wiener Beamten an einem Tennisturnier sechs Wochen nach seiner Knieoperation als eine Provokation zu werten, so ist dafür eine schlüssige Begründung nicht zu ersehen.

 

Unzutreffend ist nämlich die Auffassung, die Bf hätte sich wegen der Eigenart ihrer - unbestrittenen - Krankheit nicht in der Öffentlichkeit zeigen dürfen, für einen solchen Standpunkt ist dem angefochtenen Bescheid keine plausible Begründung zu entnehmen. Wäre die Bf nämlich nicht an einer Depression erkrankt und hätte sie sich nicht aus diesem Grunde, sondern etwa wegen einer sechs Wochen zurückliegenden Knieoperation im Krankenstand befunden, so wäre offensichtlich, dass ihre Teilnahme an einer Fernsehaufzeichnung nicht ohne weiteres als Verletzung der Dienstpflicht des § 18 Abs 2 zweiter Satz DO 1994 qualifiziert hätte werden können. Dass aber die Bf "sehr wohl die physische und psychische Kraft" gefunden hat, "sich der durchaus aufregenden Situation einer Fernsehaufnahme zu stellen", kann ihr nicht als Dienstpflichtverletzung angelastet werden, weil die belangte Behörde selbst davon ausgeht, dass die Bf nach Rücksprache mit ihrem Arzt gehandelt und dieser sie zu diesem Vorgehen ermuntert habe.

 

Die der Bf im vorliegenden Fall zur Last gelegte Teilnahme an der gegenständlichen Fernsehaufzeichnung durfte daher nicht als eine Verletzung der in § 18 Abs 2 zweiter Satz DO 1994 normierten Dienstpflicht qualifiziert werden, und zwar ungeachtet des Umstandes, dass die Bf dadurch den "Unmut" einer Kollegin und von deren Ehegatten erweckt haben mag.