18.10.2002 EU

EuGH: Regeln über den Erwerb von Fernsehrechten für sportliche Veranstaltungen im Rahmen der Eurovision durch Dritte führen zu Wettbewerbsbeschränkungen, die gegen den EG-Vertrag verstoßen


Mit Urteil vom 8. Oktober 2002 (verbundene Rechtssachen T-185/00, T-216/00, T-299/00 und T-300/00) hat der Europäische Gerichtshof entschieden, dass die Kommission zu Unrecht festgestellt hatte, dass die Unterlizenzregelung der "EBU" sogar in einem auf große internationale sportliche Ereignisse beschränkten Markt den Zugang Dritter, die in Wettbewerb mit Mitgliedern der EBU stehen, zu den Eurovisionsrechten garantiert.

Zum Hintergrund: Die Eurovision ist ein System des Austauschs von Fernsehprogrammen, welches auf der Verpflichtung der angeschlossenen Rundfunk- und Fernsehanstalten beruht, sich gegenseitig ihre Berichterstattung über sportliche und kulturelle Ereignisse, die in ihrem Land stattfinden, anzubieten, soweit sie für die übrigen Mitglieder von Interesse sein können. Ihre Koordinierung nimmt ein Branchenverband, die "Europäische Rundfunk- und Fernsehunion" (EBU) wahr, deren aktive Mitglieder sich an einem System des gemeinsamen Erwerbs und der gemeinsamen Nutzung von .Eurovisionsrechten genannten Fernsehrechten für internationale Sportveranstaltungen beteiligen können.

Vier Gesellschaften, die frei zu empfangende landesweite Fernsehsender betreiben, nämlich der französische "Kanal Métropole télévision SA" (M6), die Gesellschaften spanischen Rechts "Antena 3 de Televisión SA" und "Gestevisión Telecinco SA" sowie die Gesellschaft portugiesischen Rechts "Sociedade Independente de Comunicação SA" (SIC), hatten die Regeln über den gemeinsamen Erwerb von Fernsehrechten für Sportereignisse, den Austausch des Signals für sportliche Programme im Rahmen der Eurovision und den Zugang Dritter auf vertraglicher Grundlage beanstandet, weil sie angeblich zu erheblichen Wettbewerbsbeschränkungen führen würden. Kernpunkt der vier Klagen war insbesondere die Regelung über Unterlizenzen gewesen, die den Zugang dritter, frei zu empfangender Sender zum Eurovisionssystem im Einzelnen festlegt.

Eine Entscheidung der Kommission von 1993, mit der die Regeln über den Zugang zu den von der EBU erworbenen Rechten von den gemeinschaftlichen Kartellvorschriften freigestellt worden waren, war vom Gericht erster Instanz der EG am 11. Juli 1996 für nichtig erklärt worden. Daraufhin und auf Aufforderung der Kommission hatte die EBU neue Regeln erlassen, welche die Kommission mit einer zweiten Entscheidung für den Zeitraum vom 26. Februar 1993 bis zum 31. Dezember 2005 für den Bereich insbesondere der Unterlizenzen freigestellt hatte und die als eine Regelung angesehen worden war, die den Nichtmitgliedern einen umfassenden Zugang zu Rechten für Live-Übertragungen und Aufzeichnungen zu vernünftigen Bedingungen bieten würde.

Gegen diese zweite Entscheidung hatten sich die vorliegenden Klagen vor dem Gericht erster Instanz der EG gerichtet, weil die Voraussetzung, auf welche die Entscheidung gestützt worden wäre, nämlich dass der Wettbewerb der Nichtmitglieder nicht ausgeschaltet würde, nicht erfüllt worden wäre, sodass eine Aufhebung der Freistellungsentscheidung die Konsequenz sein müsste.

Das Gericht erster Instanz der EG hat nunmehr den Standpunkt der Klägerinnen bestätigt: Die Unterlizenzregelung garantiert den Konkurrenten der Mitglieder der EBU keinen ausreichenden Zugang zu den Rechten für die Übertragung sportlicher Ereignisse, über die Letztere aufgrund ihrer Beteiligung an dieser Einkaufsgemeinschaft verfügen. Folglich ist die Freistellung der Regelung für nichtig zu erklären.

Das Gericht hatte zunächst die Struktur der betreffenden Märkte und die Wettbewerbsbeschränkungen zu untersuchen, zu welchen das Eurovisionssystem führt. Aufgrund dieser ersten Prüfung ergibt sich, dass ein vorgelagerter Markt, der des Erwerbs der Fernsehrechte, und ein nachgelagerter Markt, jener der Fernsehübertragung sportlicher Ereignisse, bestehen und dass die Fernsehrechte für sportliche Ereignisse für ein bestimmtes Gebiet, gewöhnlich ein Land, auf Ausschließlichkeitsbasis gewährt werden. Diese Ausschließlichkeit gilt als unverzichtbar, um den Wert eines Sportprogramms, der sich in Einschaltquoten und möglichen Werbeeinnahmen ausdrückt, zu verbürgen.

Die Untersuchung der Wirkungen des Eurovisionssystems auf den Wettbewerb hat zwei Arten von Beschränkungen zutage gebracht:

.) Einerseits beschränken der gemeinsame Erwerb der Fernsehrechte für sportliche Ereignisse, deren Nutzung und der Austausch des Signals den Wettbewerb zwischen den Mitgliedern der EBU, die sowohl auf dem vorgelagerten als auch auf dem nachgelagerten Markt in Wettbewerb stehen.

.) Andererseits führt dieses System zu Wettbewerbsbeschränkungen gegenüber Dritten, weil diese Rechte im Allgemeinen als Exklusivrechte verkauft werden, ein erschwerender Umstand für die Nichtmitglieder, denen dadurch der Zugang verwehrt wird.

Auch wenn der Erwerb der Rechte für die Fernsehübertragung eines Ereignisses für sich genommen keine gegen die Vertragsbestimmungen verstoßende Wettbewerbsbeschränkung darstellt und durch die Besonderheiten des Produkts und des betreffenden Marktes gerechtfertigt sein kann, kann die Ausübung dieser Rechte aufgrund besonderer rechtlicher oder wirtschaftlicher Begleitumstände dennoch zu einer solchen Beschränkung führen.

Werden die genannten Fernsehsender am Zugang zu diesen Programmen gehindert, wird ihnen die Chance von Gewinnen vorenthalten. Zudem zeigt sich, dass das Eurovisionssystem zu den ausschließlichsten Systemen gehört, weil gleiche Rechte, die von einer anderen Multimediaagentur erworben werden, Gegenstand von Verhandlungen zwischen den Wirtschaftsteilnehmern auf ihren jeweiligen Märkten sind.

Das Gericht erster Instanz der EG hat daraufhin geprüft, ob die Regelung über den Zugang Dritter zum Eurovisionssystem einen Ausgleich der Wettbewerbsbeschränkungen gegenüber diesen Dritten zulässt und damit eine Ausschaltung des Wettbewerbs Dritter verhindert. Dabei sind zwei Fälle zu unterscheiden: Die Direktübertragungen sowie die Aufzeichnungen:

"Wenn auch vertretbar erscheint, dass die Mitglieder der EBU sich die erste Kategorie vorbehalten, kann jedenfalls nichts rechtfertigen, dass sie dieses Recht auch dann auf alle Wettbewerbe ein und desselben Ereignisses ausdehnen, wenn sie nicht die Absicht haben, alle diese Wettbewerbe direkt auszustrahlen. Die Möglichkeit, Ereignisse aufzuzeichnen oder zusammenzufassen, ist in mehrfacher Hinsicht eingeschränkt, insbesondere durch das Zeitembargo und die redaktionelle Behandlung der Programme.

Somit ergibt sich, dass sowohl die Bestimmungen als auch die Durchführung dieser Regelung die Konkurrenten der Mitglieder der EBU - bis auf wenige Ausnahmen - nicht in die Lage versetzen, Unterlizenzen für die nicht verwerteten Eurovisionsrechte für Direktübertragungen zu erwerben; in Wirklichkeit bieten sie nur unter sehr engen Bedingungen die Möglichkeit, Zusammenfassungen von Wettbewerben auszustrahlen. Die Kommission hat somit mit der Feststellung, dass die Unterlizenzregelung freigestellt werden könne, einen offenkundigen Beurteilungsfehler begangen."