18.10.2002 EU

EuGH: Steuerwert für die Erhebung der Kraftfahrzeugsteuer muss bei eingeführten Gebrauchtfahrzeugen in der gleichen Weise bestimmt werden wie bei im Inland zugelassenen Neufahrzeugen


Mit Urteil vom 19. September 2002 (C-101/00 - Tulliasiamies und Antti Siilin) hat der Europäische Gerichtshof erkannt, dass eine nationale Steuerregelung für eingeführte Gebrauchtfahrzeuge, welche dem tatsächlichen Wertverlust der Fahrzeuge auf der Grundlage allgemeiner Kriterien Rechnung trägt, mit dem EG-Vertrag nur vereinbar ist, wenn jede diskriminierende Wirkung gegenüber bereits zugelassenen Fahrzeugen ausgeschlossen ist.

Zum Hintergrund: Der Finne Antti Siilin hatte in Deutschland einen Gebrauchtwagen der Marke "Mercedes Benz" gekauft, den er einige Monate später nach Finnland eingeführt und beim Zollamt zur Entrichtung der Kraftfahrzeugsteuer angemeldet hatte. Das Zollamt hatte den zu zahlenden Betrag auf der Grundlage eines Vergleichs dieses Fahrzeugs mit einem Neufahrzeug der gleichen Marke aus einer anderen Modellreihe, aber mit vergleichbaren technischen Merkmalen, ermittelt.

Das auf die Besteuerung von Kraftfahrzeugen anwendbare finnische System umfasst zunächst die Kraftfahrzeugsteuer: Kennzeichnend für diese ist die Berücksichtigung der verschiedenen Handelsstufen. Bei in Finnland bereits zugelassenen Gebrauchtfahrzeugen wird die Steuer auf der Grundlage des Preises berechnet, zu dem der offizielle Importeur das Neufahrzeug gekauft hat, was seine Gewinnspanne und die etwaiger Groß- und Einzelhändler nicht einschließt. Bei Gebrauchtfahrzeugen, die von Privatpersonen eingeführt werden, wird die Steuer auf der Grundlage des Preises berechnet, den der Endverbraucher für ein gleichartiges Neufahrzeug gezahlt hat, der im Allgemeinen höher ist als der vom offiziellen Importeur gezahlte Preis.

Bezüglich des Wertverlustes sieht die für eingeführte Gebrauchtfahrzeuge geltende finnische Regelung eine lineare Herabsetzung der Steuer um 0,5 % erst nach Ablauf der ersten sechs Monate nach der Zulassung oder Inbetriebnahme des Fahrzeugs vor.

Weiters umfasst das finnische System eine in den nationalen Rechtsvorschriften als "Mehrwertsteuer" bezeichnete Steuer, welche auf die Kraftfahrzeugsteuer erhoben wird.

Nach Zahlung des festgesetzten Betrages hatte sich Antti Siilin an die nationalen Gerichte gewandt. Das nationale Gericht hatte dem Gerichtshof der Europäischen Gemeinschaften in der Folge Fragen nach der Auslegung der nationalen Regelung unter Berücksichtigung der Vorschrift des Vertrages über das Verbot jeder diskriminierenden inländischen Abgabe und der Sechsten Mehrwertsteuerrichtlinie zur Vorabentscheidung vorgelegt.

In seiner Begründung führt verweist der EuGH zur Regelung der Kraftfahrzeugsteuer darauf, dass der EG-Vertrag die vollkommene Wettbewerbsneutralität für eingeführte Waren und für bereits auf dem inländischen Markt befindliche Waren, die ähnliche Eigenschaften haben und den gleichen Bedürfnissen des Verbrauchers dienen, gewährleisten soll. Zur Frage der Vereinbarkeit der Unterschiede der Bemessungsgrundlage für die Kraftfahrzeugsteuer mit den Bestimmungen des EG-Vertrages stellt er fest, dass die Steuer für Gebrauchtfahrzeuge mit der Reststeuer zu vergleichen ist, die noch im Wert eines im Inland bereits zugelassenen gleichartigen Gebrauchtfahrzeugs enthalten ist, d.h. der Steuer, die zum Zeitpunkt der Zulassung des "inländischen" Gebrauchtfahrzeugs im Neuzustand gezahlt worden ist, wobei der Wertverlust dieses Fahrzeugs berücksichtigt werden muss. Dies bedeutet, dass der Steuerwert in beiden Fällen in gleicher Weise zu bestimmen ist.

Eine Erfüllung dieser Voraussetzung liegt nicht vor, wenn das im Inland bereits zugelassene gleichartige Gebrauchtfahrzeug im Neuzustand auf einer Handelsstufe besteuert worden ist, auf der sein Wert geringer gewesen ist. Dementsprechend verstößt eine Regelung, die zu diesen Steuerunterschieden führen kann, gegen den EG-Vertrag.

Zur Frage des Wertverlustes der Fahrzeuge stellt der Gerichtshof fest, dass die finnische Regelung dem tatsächlichen Wertverlust des Gebrauchtfahrzeugs nicht Rechnung trägt, weil dieser Wertverlust nicht linear ist, insbesondere nicht in den ersten Jahren, in denen er viel höher ist als später. Auch eine solche Regelung ist demnach mit dem EG-Vertrag unvereinbar.

Eine Steuerregelung für eingeführte Gebrauchtfahrzeuge, welche dem tatsächlichen Wertverlust der Fahrzeuge auf der Grundlage allgemeiner Kriterien Rechnung trägt, ist mit dem EG-Vertrag nur vereinbar, wenn jede diskriminierende Wirkung ausgeschlossen ist. Dafür ist einerseits erforderlich, dass die Kriterien für den Wertverlust, auf denen die pauschale Berechnungsmethode beruht, veröffentlicht worden sind und andererseits, dass der Eigentümer die Möglichkeit hat, die Anwendung einer solchen Methode anzufechten, sodass es erforderlich sein kann, die individuellen Merkmale seines Fahrzeugs zu prüfen, um die Steuerneutralität zu gewährleisten.

Zur Anwendung der in den finnischen Rechtsvorschriften als "Mehrwertsteuer" bezeichneten Steuer, welche auf die Kraftfahrzeugsteuer erhoben wird, führt der EuGH in seiner Begründung aus, dass die Qualifizierung als Mehrwertsteuer nicht von der Bezeichnung in den nationalen Rechtsvorschriften abhängt. Er kommt zu der Auffassung, dass diese Steuer keine Mehrwertsteuer im Sinne der Definition in der Gemeinschaftsrichtlinie ist, weil die finnische Steuer die wesentlichen Merkmale einer Mehrwertsteuer nicht erfüllt:

Die auf die Kraftfahrzeugsteuer erhobene Steuer ist nämlich keine allgemeine Steuer, sondern wird nur auf bestimmte Fahrzeuge erhoben. Die Höhe dieser Steuer ist nicht proportional zum Preis der Waren. Diese Steuer wird nicht auf jeder Produktions- und Vertriebsstufe gezahlt. Schließlich wird mit ihr der Gesamtwert und nicht der Mehrwert besteuert.

Der Europäische Gerichtshof schließlich wörtlich: "Um die von dem nationalen Gericht vorgelegte Frage zu beantworten, ob diese Steuer, die auf die Kraftfahrzeugsteuer erhoben wird, eine nach dem Vertrag unzulässige diskriminierende inländische Abgabe ist, kommt der Gerichtshof zu dem Ergebnis, dass die finnische Steuer, die auf die Kraftfahrzeugsteuer erhoben wird, mit dem EG-Vertrag unvereinbar ist, wenn der Betrag, der gemäß dieser Steuer bei der Zulassung eines eingeführten Gebrauchtfahrzeugs erhoben wird, den Betrag der Reststeuer übersteigt, der noch im Wert eines im Inland bereits befindlichen Gebrauchtfahrzeugs enthalten ist."