24.10.2002 EU

EuGH: Entscheidung der Kommission, mit welcher der Zusammenschluss zwischen den Firmen "Schneider" und "Legrand" verboten und die Trennung dieser Unternehmen angeordnet wird, ist nichtig


Mit Urteil vom 22. Oktober 2002 (T-310/01 und T-77/02 - Schneider Electric/Kommission) hat der Europäische Gerichtshof die Entscheidung der Kommission, mit welcher der Zusammenschluss zwischen den Firmen "Schneider" und "Legrand" verboten und die Trennung dieser Unternehmen angeordnet wird, für nichtig erklärt.

Zum Hintergrund: Der französische Konzern Schneider Electric hatte Klagen gegen das Veto der Kommission gegen seinen Zusammenschluss mit der Firma Legrand, einem ebenfalls französischen Unternehmen, welches auch Erzeuger von elektrischen Niederspannungsgeräten ist, und gegen eine zweite Entscheidung der Kommission, mit die Trennung der beiden Gesellschaften angeordnet wird, erhoben.

Nur etwas mehr als drei Monate verstrichen zwischen den mündlichen Verhandlungen und den nunmehrigen Urteilen. Dies ist auf das beschleunigte Verfahren zurückzuführen, welches auf Antrag der Klägerin im Mai 2002 beschlossen worden war, wobei die Klägerin als Gegenleistung die Zahl der in ihrer Klageschrift dargelegten Argumente reduziert hatte. Die Kommission wiederum hatte den Zeitpunkt, zu dem die beiden Unternehmen getrennt sein sollten, verschoben, um dem Gericht eine rechtzeitige Entscheidung zu ermöglichen.

Die Kommission hatte die Auffassung vertreten, dass sich die Auswirkungen dieses Zusammenschlusses auf den Wettbewerb auf alle für die Stromverteilung sowie die Kontrolle von Stromkreisläufen auf verschiedenen Ebenen (Wohnung, Büro, Fabrik) verwendeten Geräte erstrecken würden und somit eine große Produktpalette von den Schalttafeln über Kabelhalterungen bis zu Steckdosen und Schaltern erfasst wären.

Der EuGH konnte der Auffassung der Kommission nichts abgewinnen und führt in seiner Begründung aus, dass die von der Kommission durchgeführte wirtschaftliche Untersuchung Fehler und Lücken aufweist, durch die ihr - außer für die französischen sektoriellen Märkte - die Beweiskraft genommen wird. Hinsichtlich der französischen sektoriellen Märkte bejaht der Europäische Gerichtshof zwar die wettbewerbswidrigen Auswirkungen des Zusammenschlusses, nimmt aber eine schwerwiegende Verletzung der Verteidigungsrechte an.

Die Nichtigerklärung der ersten Entscheidung der Kommission beruht dabei auf einer in zwei Teile gegliederten Beurteilung:

- In einem ersten Teil zieht das Gericht die wirtschaftliche Untersuchung, welche die Kommission zur Begründung ihrer Ablehnung des Zusammenschlusses durchgeführt hat, in Zweifel und akzeptiert sie nur für die französischen sektoriellen Märkte;

- in einem zweiten nur diese Märkte betreffenden Teil befasst es sich mit dem Verfahren, nach dem die Kommission bei der Prüfung des Vorhabens vorgegangen ist, und stellt einen Formfehler fest, der in Anbetracht der Abweichung der Entscheidung der Kommission von der Mitteilung der Beschwerdepunkte eine Verletzung der Rechte der Verteidigung darstellt.

Der EuGH stellt mehrere offensichtliche Fehler, Auslassungen und Widersprüche in der wirtschaftlichen Argumentation der Kommission fest. So hält die Kommission die nationale Dimension der geografischen Märkte fest, um die Verstärkung oder die Schaffung einer beherrschenden Stellung des durch die Fusion entstehenden Unternehmens zu belegen und stützt ihre Beurteilung der Auswirkungen des Zusammenschlusses dann auf transnationale, globale und von einem einzigen Markt aus extrapolierte Erwägungen, ohne deren Bedeutung auf nationaler Ebene nachzuweisen. Auch ihre Darlegung, dass durch den Zusammenschluss der beiden Gesellschaften eine Position geschaffen werde, an der für die Großhändler kein Weg vorbeiführe, wird nur durch allgemeine Angaben untermauert, während "genauere Untersuchungen auf nationaler Ebene sachdienlicher und überzeugender gewesen wären."

Darüber hinaus überzeugt das auf einen potenziellen unerreichten Portfolio-Effekt gestützte Argument mangels einer genauen Untersuchung der betroffenen Märkte Land für Land das Gericht nicht. Dass Schneider große Anteile auf den Märkten für elektrische Ultraterminal- Anlagen in den nordischen Ländern besitzt und dass Legrand mehr im Süden Europas angesiedelt ist, lässt laut Auffassung des Europäischen Gerichtshofes nicht den Schluss zu, dass die Erzeugnisse des Konzerns Schneider-Legrand alle Elektroerzeugnisse abdecken werden: "Dies führt die Kommission dazu, die wirtschaftliche Macht des Konzerns zu überschätzen."

Auch hat die Kommission die wirtschaftliche Macht des durch die Fusion entstandenen Unternehmens dadurch überschätzt, dass sie die Marktanteile des Konzerns im Hinblick auf die zu niedrig eingeschätzten Marktanteile seiner beiden Hauptwettbewerber ("Siemens" und "ABB") beurteilt, ohne die internen Verkäufe von Bauteilen für elektrische Schalttafeln einzubeziehen, welche die letztgenannten Unternehmen mit ihren spezialisierten Tochtergesellschaften tätigen. Auch die den italienischen und den dänischen Markt betreffenden Zahlen und Daten lassen die Schlussfolgerungen der Kommission als zweifelhaft erscheinen.

Trotz der bei der Beurteilung der Auswirkungen des Zusammenschlusses festgestellten Lücken erkennt der Europäische Gerichtshof an, dass, was die französischen sektoriellen Märkte angeht, auf denen die beiden Gesellschaften erhebliche Anteile besitzen, die Schlussfolgerung der Kommission in Bezug auf die beherrschende Stellung und die Ausschaltung des Wettbewerbs aufgrund der angegebenen Tatsachen akzeptiert werden kann.

Der EuGH weiter im Wortlaut: "Das Gericht prüft daher allein im Hinblick auf die durch den Zusammenschluss betroffenen französischen Märkte in einem zweiten Teil das Vorbringen der Klägerin, das auf eine wesentliche Änderung der Art der Beschwerdepunkte der Kommission in deren Darlegung gegenüber den Beteiligten im Verhältnis zu der hier angefochtenen abschließenden Entscheidung gestützt ist. Die Darlegung der Beschwerdepunkte soll es dem Unternehmen nämlich ermöglichen, Lösungen für die festgestellten Probleme vorzuschlagen und sich zu verteidigen, bevor die Kommission eine endgültige Entscheidung erlässt.

In der bekannt gegebenen Mitteilung der Beschwerdepunkte lag die Betonung auf der >Überschneidung< (>chevauchement<) der Tätigkeiten von Schneider-Legrand auf bestimmten Märkten und der Verstärkung der Stellung der Klägerin gegenüber den Großhändlern, die sich daraus ergebe. In der Entscheidung, die Gegenstand des Rechtsstreits ist, verwendet die Kommission den Begriff >Anlehnung< (>adossement<), der sich auf zwei beherrschende Stellungen bezieht, die zwei Unternehmen in einem einzigen Land auf zwei unterschiedlichen, aber sich ergänzenden sektoriellen Märkten innehaben. Da der Sinn des Beschwerdepunktes ein anderer ist, war es der Klägerin unmöglich, geeignete Korrekturmaßnahmen zu unterbreiten. Die Kommission hat dadurch, dass sie in dieser Weise vorgegangen ist und es der Klägerin nicht ermöglicht hat, geeignete Entflechtungsangebote vorzuschlagen, die Rechte der Verteidigung verletzt."

Weiters führt der Europäische Gerichtshof aus, dass, wenn die Vereinbarkeit mit dem Gemeinsamen Markt erneut geprüft würde (wenn die Klägerin ihre Absicht beibehielte, Legrand zu erwerben), das Verfahren mit der Ausarbeitung einer genauen Mitteilung der Beschwerdepunkte wieder beginnen und sich nur auf die französischen Märkte erstrecken müsste, die allein als die durch die Durchführung des Zusammenschlusses betroffenen Märkte ermittelt worden sind.

Die zweite Entscheidung der Kommission, welche die Trennung von Legrand und Schneider anordnet, und als Rechtsgrundlage die Entscheidung über das Verbot des Zusammenschlusses hat, wurde folgerichtig ebenfalls vom EuGH für nichtig erklärt (T-77/02).