24.10.2002 EU

EuGH: Nach Auffassung des Generalanwaltes kann ein Mitgliedstaat keine über das Gemeinschaftsrecht hinausgehenden Voraussetzungen für die Übernahme der einem Rentner bei einem Besuch in einem anderen Mitgliedstaat entstandenen Arztkosten aufstellen


Mit Schlussanträgen vom 15. Oktober 2002 (C-326/00 - Idryma Koinonikon Asfalisseon (IKA)/Vasileios Ioannidis) hat Generalanwalt Dámaso Ruiz-Jarabo beantragt, zu entscheiden, dass ein Mitgliedstaat keine über das Gemeinschaftsrecht hinausgehenden Voraussetzungen für die Übernahme der einem Rentner bei einem Besuch in einem anderen Mitgliedstaat entstandenen Arztkosten aufstellen kann. Der Auffassung des Generalanwaltes zufolge darf das nationale Recht die Erstattung dieser Kosten nicht von einer nachträglichen Genehmigung abhängig machen, die nur erteilt wird, wenn die Krankheit plötzlich aufgetreten ist.

Zum Hintergrund: Vasileios Ioannidis, ein griechischer Rentner mit Wohnsitz in Griechenland, hatte sich während eines Besuches in Deutschland in stationäre Behandlung begeben müssen, weil er an einer Herzerkrankung leidet. Dem Attest des behandelnden Arztes zufolge war der Krankenhausaufenthalt wegen einer Angina pectoris dringend erforderlich gewesen. Ioannidis hatte einen von der griechischen Sozialversicherungsanstalt, dem "IKA", ausgestellten gültigen Vordruck E 111 (der einen Anspruch auf Sachleistungen bei Krankheit während eines Aufenthalts in einem anderen Mitgliedstaat verleiht).

In der Folge hatte er bei der deutschen Krankenkasse einen Antrag auf Übernahme seiner Krankenhauskosten gestellt, wobei die Kosten vom IKA erstattet hätten werden sollen. Der deutsche Träger hatte den IKA um Übersendung des Vordrucks E 112 (mit dem einem Versicherten gestattet wird, sich in einen anderen Mitgliedstaat zu begeben, um dort eine angemessene Behandlung zu erhalten) und Erklärung der Bereitschaft zur Übernahme der Krankenhauskosten ersucht.

Der IKA hatte der deutschen Krankenkasse jedoch anschließend mitgeteilt, er könnte diese Kosten nicht übernehmen, weil der Betroffene an einer chronischen Krankheit leiden würde und die Verschlechterung seines Gesundheitszustands nicht plötzlich eingetreten wäre, so dass die nach griechischem Recht bestehenden Voraussetzungen für die nachträgliche Genehmigung nicht erfüllt wären.

Nachdem dem von Ioannidis gegen diesen Bescheid eingelegten Einspruch stattgegeben worden war, erhob der IKA Klage bei einem griechischen Gericht. Das griechische Gericht setzte das Verfahren aus und befragte den Europäischen Gerichtshof, ob die griechische Vorschrift mit dem Gemeinschaftsrecht vereinbar ist, welche als zusätzliche Voraussetzung für die nachträgliche Genehmigung der Erstattung der Kosten für die ärztliche Behandlung eines Rentners im Ausland verlangt, dass die Krankheit plötzlich eingetreten und eine sofortige Behandlung erforderlich ist.

Der Generalanwalt weist nunmehr darauf hin, dass das Gemeinschaftsrecht Rentnern eine günstigere Behandlung gewähre als Arbeitnehmern, weil es den Rentnern einen Anspruch auf Sachleistungen bei Krankheit in einem anderen Mitgliedstaat als ihrem Wohnstaat unter der alleinigen Voraussetzung zuspreche, dass sie die Leistung benötigten. Der Gesetzgeber wolle die Mobilität der Rentner innerhalb der Europäischen Union fördern, indem er vermeide, dass sie aus Angst vor dem etwaigen Verlust des Versicherungsschutzes im Falle einer Verschlechterung ihres Zustandes auf Reisen verzichteten.

Der Sozialversicherungsträger des Aufenthaltsorts könne den vom Sozialversicherungsträger des Wohnorts erteilten Vordruck E 111 daher nicht zurückweisen, weil der Versicherte von der ärztlichen Versorgung ausgeschlossen wäre, obwohl er guten Glaubens davon ausgegangen sei, dass er durch den Besitz des Formulars während seines Aufenthalts in einem anderen Mitgliedstaat Anspruch auf Sachleistungen bei Krankheit habe. Besuche somit ein Rentner einen Mitgliedstaat, in dem er nicht wohne, und bedürfe ärztlicher Behandlung, so dürfe der Träger des Aufenthaltsorts keine zusätzlichen Bedingungen über das Gemeinschaftsrecht hinaus aufstellen oder prüfen, ob Leistungen dringend erforderlich seien. Ebenso wenig könne der Träger des Wohnstaats die Einholung einer nachträglichen Genehmigung verlangen, wie dies nach griechischem Recht vorgesehen sei.

Wenn die Behörden des Wohnmitgliedstaats den Verdacht hätten, dass die unter dem Schutz des Vordrucks E 111 durchgeführte Reise des Betreffenden in der Absicht vorgenommen worden sei, ärztliche Behandlung zu erlangen und sich damit dem für alle Versicherten geltenden Verfahren zu entziehen, müssten sie andere Unterlagen und Umstände berücksichtigen (z. B. Eintragung in einer Warteliste, Verweigerung der Genehmigung für eine ärztliche Behandlung im Ausland usw.), aus denen sich ergebe, dass dies der Zweck der Reise gewesen sei.

Generalanwalt Ruiz-Jarabo vertritt schließlich die Auffassung, wenn der Sozialversicherungsträger des Aufenthaltsorts den Vordruck E 111 ohne Grund zurückweise, müssten die Behörden des Wohnstaats dem Versicherten die entstandenen Kosten ersetzen, so dass der Rentner nicht benachteiligt werde.

Die Ansicht des Generalanwalts ist für den Gerichtshof nicht bindend. Aufgabe des Generalanwalts ist es, dem Gerichtshof in völliger Unabhängigkeit eine rechtliche Lösung der von ihm bearbeiteten Rechtssachen vorzuschlagen.