30.10.2002 EU

EuGH: Die Entscheidung der Kommission, mit welcher diese den Zusammenschluss zwischen "Tetra Laval" und "Sidel" untersagt hat, sowie die Entscheidung, mit der als Folge davon ihre Trennung angeordnet worden ist, ist nichtig


Mit Urteilen vom 25. Oktober 2002 (T-5/02 und T-80/02 - Tetra Laval BV/Kommission) hat der EuGH die Entscheidung der Europäischen Kommission, womit diese den Zusammenschluss zwischen "Tetra Laval" und "Sidel" untersagt hat, und die Entscheidung, mit der als Folge davon ihre Trennung angeordnet worden ist, für nichtig erklärt.

Laut Auffassung des Europäischen Gerichtshofes beruhen die wirtschaftliche Analyse der unmittelbaren wettbewerbsschädigenden Folgen der Konglomeratwirkungen sowie die Prognose über das Verhalten der betreffenden Unternehmen auf unzureichenden Beweisen sowie auf einer Reihe offensichtlicher Begründungsfehler. Dagegen wird das Vorbringen von Tetra Laval zurückgewiesen, soweit eine Verletzung des Rechts auf Akteneinsicht gerügt wird.

Das Gericht erster Instanz hat im beschleunigten Verfahren innerhalb einer Frist von neun Monaten zwei Urteile betreffend die Klagen der Gruppe Tetra Laval BV, des Weltmarktführers im Bereich der Kartonverpackungen, erlassen. Diese Klagen hatten sich zum Einen gegen das von der Kommission ausgesprochene Verbot des Zusammenschlusses der französischen Tochtergesellschaft der Gruppe Tetra Laval mit dem französischen Unternehmen Sidel, das hauptsächlich auf dem Gebiet der Konzeption und Herstellung von PET (Polyäthylenterephtalat)-Anlagen und -Flaschen tätig ist, und zum Anderen gegen eine zweite Entscheidung der Kommission, mit welcher diese als Folge davon die Trennung der beiden Unternehmen angeordnet hatte, gerichtet.

Zum Hintergrund: Der Zusammenschluss betrifft den industriellen Sektor der Verpackungen für Flüssiglebensmittel. Er würde der Kommission zufolge schädliche Auswirkungen auf den Wettbewerb auf mehreren Märkten haben - dem für bestimmte PET-Verpackungsmaschinen, auf dem Sidel eine führende Stellung habe, dem für Maschinen zur Herstellung von aseptischen Kartonverpackungen und für aseptische Kartonverpackungen, auf dem Tetra Laval eine beherrschende Stellung habe, sowie dem für HDPE (ein Kunststoff auf der Basis von hochverdichtetem Polyäthylen) und Maschinen, die Verpackungen aus diesem Material herstellen.

Der EuGH gab den Anträgen von Tetra Laval statt und führt zunächst aus, dass die Kommission die wettbewerbsschädigenden Folgen eines Zusammenschlusses auf den von ihr bezeichneten Märkten überschätzt hat, soweit sie ihr Verbot zumindest teilweise mit horizontalen (die Kontrolle der PET-Anlagen durch die fusionierte Einheit) und vertikalen (Gefahr der Bildung einer integrierten vertikalen Struktur) Wirkungen rechtfertigt, die sich unmittelbar aus dem Zusammenschluss ergeben würden.

Sodann äußert sich das Gericht zur Analyse der Konglomeratwirkungen, d. h. zu den Wirkungen aufgrund des Zusammenschlusses von Unternehmen, die im Wesentlichen auf verschiedenen Märkten (Karton und PET) tätig sind und nicht in unmittelbarem Wettbewerb miteinander stehen: Zur Begründung des von ihr beschlossenen Verbotes hatte die Kommission im Wesentlichen geltend gemacht, es könnte nicht ausgeschlossen werden, dass der Zusammenschluss in Zukunft wettbewerbsschädigende Folgen haben würde. Die Gründe hierfür wären die Hebelwirkung, die Ausschaltung des potenziellen Wettbewerbs und die Verstärkung der wettbewerblichen Stellung der neu geschaffenen Einheit.

Hierzu führt der Europäische Gerichtshof aus, dass die Prüfung der Konglomeratwirkungen, die durch eine neue Struktur ausgelöst würden, bei der Beurteilung der Vereinbarkeit eines Zusammenschlusses durch die Kommission zulässig ist. Es teilt aber nicht die Schlussfolgerungen, zu denen die Kommission in dieser Rechtssache gelangt ist.

Der EuGH wörtlich: "Was die Hebelwirkung betrifft, so geht die Kommission davon aus, dass sich die gegenwärtigen Überschneidungen der betreffenden Märkte über kurz oder lang bestätigen würden, so dass Tetra Laval unter Ausnutzung ihrer beherrschenden Stellung auf dem Kartonmarkt wahrscheinlich einige ihrer jetzigen Kunden dazu veranlassen würde, soweit sie es wünschten, auf die Verpackung ihrer Waren in PET durch von Sidel hergestellte Anlagen umzusteigen. Das Gericht stellt fest, dass grundsätzlich die Durchführung des Zusammenschlusses eine solche Hebelwirkung ermöglichen könnte. Die Kommission hat aber nicht nachgewiesen, dass die neue Einheit das Bedürfnis haben werde, von dieser Möglichkeit Gebrauch zu machen."

Das Gericht führt u. a. aus, dass die Prognosen der Kommission, wonach mit einem starken Wachstum des PET-Marktes zu rechnen sei, nicht zutreffen, und zwar schon deshalb nicht, weil das Segment der flüssigen Molkereierzeugnisse (FME) sie entkräftet und weil die Analysen in Bezug auf Fruchtsäfte zu unvollständig sind, um die Behauptung zu belegen, dass die gegenwärtigen Glasbehältnisse durch andere Verpackungen ersetzt werden, die eher aus PET als aus Karton oder HDPE bestehen.

Auch hinsichtlich der Prüfung der Formen, in denen von der Hebelwirkung Gebrauch gemacht werden könnte und die der neuen Einheit von den Märkten für aseptischen Karton aus bis zum Jahr 2005 eine beherrschende Stellung auf den verschiedenen Märkten für PET-Anlagen verschaffen würden, war das Vorbringen der Kommission nicht überzeugend. In Bezug auf die Streckblasmaschinen hoher Kapazität, bei denen Sidel besonders führend ist, weist die Entscheidung laut Auffassung des Gerichtes verschiedene Analysemängel (insbesondere bei Bier und Säften) und Begründungsfehler hinsichtlich der Ausgrenzung der Wettbewerber und der Zwischenverbraucher (Verarbeiter) auf.

Zur Ausschaltung des potenziellen Wettbewerbs auf den Märkten für aseptischen Karton durch die auf den Märkten für PET-Anlagen tätigen Unternehmen stellt das Gericht fest, dass es für die Schlussfolgerung der Kommission, wonach die beherrschende Stellung von Tetra Laval verstärkt werde, keine ausreichenden Beweise gibt.

Da es sich bei der Verstärkung der Marktstellung der aus dem Zusammenschluss hervorgegangenen Einheit um einen Gesichtspunkt handelt, der nicht von der Hebelwirkung und der Ausschaltung des potenziellen Wettbewerbs getrennt werden kann, weist der Europäische Gerichtshof das entsprechende Vorbringen der Kommission in Anbetracht der bereits getroffenen Feststellungen zurück.

Der Europäische Gerichtshof schließlich wörtlich: "Was die Rechtssache T-80/02 angeht, welche sich auf die zweite Entscheidung der Kommission bezieht, mit der diese die Trennung von Tetra Laval und Sidel angeordnet hat und deren Rechtsgrundlage die Entscheidung über das Verbot des Zusammenschlusses ist, so führt die Nichtigerklärung der zuletzt genannten Entscheidung folgerichtig zur Nichtigerklärung der zweiten Entscheidung, die somit ihrer Grundlage entbehrt."