22.05.2008 Gesetzgebung

Ministerialentwurf: 2. Gewaltschutzgesetz


Der Vorschlag enthält ua eine Ausweitung der einstweiligen Verfügung, Opferschutzregelungen auch für den Zivilprozess, die Einführung eines neuen Tatbestands der "beharrlichen Gewaltausübung", die gerichtliche Aufsicht bei Sexualstraftätern verbunden mit dem Untersagen bestimmter beruflicher Tätigkeiten, sowie die Schaffung einer Anzeigenpflicht für Personen, deren Fürsorge ein Minderjähriger anvertraut ist.

Im Detail:A. Zivilrecht:1. Exekutionsordnung (Einstweilige Verfügungen):Schutz vor Gewalt:- Die Einschränkung auf "nahe Angehörige" soll in § 382b entfallen, weil durch die "Unzumutbarkeit des weiteren Zusammenlebens" und die "Unzumutbarkeit des weiteren Zusammentreffens" der Anwendungsbereich hinreichend abgegrenzt ist.- Im Fall der Unzumutbarkeit des Zusammenlebens (§ 382b mit neuer Paragraphenüberschrift: "Schutz vor Gewalt in Wohnungen") soll die Schutzdauer (ohne Hauptverfahren) auf sechs Monate verlängert werden.- Im Fall der Unzumutbarkeit des Zusammentreffens (neuer § 382e: "Allgemeiner Schutz vor Gewalt") sollen ein Gleichklang zu den Stalking-Regeln (§ 382g: "Schutz vor Eingriffen in die Privatsphäre) hergestellt und die Schutzdauer (ohne Hauptverfahren) auf ein Jahr verlängert werden.- Im Fall der Unzumutbarkeit des Zusammentreffens (neuer § 382e) soll die Möglichkeit geschaffen werden, die einstweilige Verfügung (ohne Hauptverfahren) auf bis ein weiteres Jahr zu verlängern, sofern gegen die einstweilige Verfügung verstoßen wurde.

Schutz vor Eingriffen in die Privatsphäre:- Mit einstweiligen Verfügungen zum Schutz vor Eingriffen in die Privatsphäre nach § 382g soll auch ein Aufenthaltsverbot mit einer Höchstdauer von einem Jahr ohne Hauptverfahren erlassen werden können.- Wie im neuen § 382e (bei gewaltbedingter Unzumutbarkeit des Zusammentreffens) soll auch bei einstweiligen Verfügungen zum Schutz vor Eingriffen in die Privatsphäre die Möglichkeit geschaffen werden, die einstweilige Verfügung (ohne Hauptverfahren) auf bis ein weiteres Jahr zu verlängern, sofern gegen die einstweilige Verfügung verstoßen wurde.- Für einstweilige Verfügungen nach § 382g soll grundsätzlich das BG am allgemeinen Gerichtsstand der gefährdeten Partei zuständig sein.

2. Zivilprozessordnung:- Das strafprozessuale Institut der psychosozialen und juristischen Prozessbegleitung soll auf das Zivilverfahren ausgedehnt werden. Als Voraussetzung für die Prozessbegleitung einer Partei im Zivilprozess wird an deren vorangegangene Gewährung in einem im inhaltlichen Konnex stehenden Strafverfahren angeknüpft. Überdies soll auch Zeugen im Zivilprozess, die über den Gegenstand des Strafverfahrens vernommen werden sollen und denen als Opfer im Strafverfahren psychosoziale Prozessbegleitung beigegeben wurde, eine solche gewährt werden.- Abgesonderte Vernehmung und Vernehmung minderjähriger Personen. Darüber hinaus soll die Möglichkeit geschaffen werden, von der Vernehmung minderjähriger Parteien oder Zeugen gänzlich oder teilweise abzusehen, wenn durch die Vernehmung deren Wohl gefährdet würde. Ansonsten soll bei entsprechendem Schutzbedarf ein geeigneter Sachverständiger mit der Vernehmung Minderjähriger beauftragt werden können.- Geheimhaltung der Wohnanschrift des Opfers und der Zeugen. Dies ist insbesondere für jene Fälle gedacht, in denen der "Vergewaltiger", "Stalker" usw vom Opfer auf Unterlassung oder Schadenersatz in Anspruch genommen wird.

3. Außerstreitgesetz:Die genannten Opferschutzbestimmungen sollen kraft entsprechender Anordnungen im AußStrG auch für die Verfahren außer Streitsachen gelten, da in diesen die für den Zivilprozess erörterte Problematik in der selben Weise, etwa in Obsorgeverfahren oder in Verfahren über das Recht auf persönlichen Verkehr, auftreten kann.

B. Strafrecht:Im Bereich der sexuellen Gewalt soll insbesondere bei bereits bekannt gewordenen Straftätern eine Verbesserung der Prävention durch Maßnahmen der Rückfallsvermeidung geschaffen werden, die nach der bedingten Entlassung aus dem Strafvollzug einer neuerlichen Tatbegehung entgegenwirken. Dazu ist die Rolle des Vollzugsgerichts zu stärken und diesem die Möglichkeit zu eröffnen, im Rahmen eines neuen Instituts der gerichtlichen Aufsicht über Sexualstraftäter mithilfe eines Bündels von Instrumenten rückfallpräventiv zu wirken. Dies soll durch intensivere Betreuung und engere Kontrolle des Verurteilten während der obligatorischen Bewährungsaufsicht und durch Erteilung von geeigneten Weisungen zu Therapie und Lebensführung (etwa dem Fernbleiben von Schulen und Kindergärten, das Anzeigen des Wohnungswechsels oder die Ausübung eines Berufs), sowie der Überwachung der genannten Maßnahmen durch das Gericht erreicht werden. Mit der Überwachung der Einhaltung der Anordnungen soll vom Vollzugsgericht im Einzelfall eine Stelle (Sicherheitsbehörden, Jugendgerichtshilfe, Jugendwohlfahrt, ua) beauftragt werden können, deren Wahl sich nach dem Inhalt der erteilten Weisungen richten wird. Um einen längeren Beobachtungszeitraum zu ermöglichen, soll in all jenen Fällen, in denen eine Verurteilung aufgrund einer strafbaren Handlung gegen die sexuelle Integrität und Selbstbestimmung erfolgte, die Probezeit fünf Jahre betragen. Auch soll das Gericht die Frist für die Tilgung einer im Strafregister aufscheinenden Straftat verlängern können.

Die Funktion der Anzeige als in manchen Fällen notwendige Schutzmaßnahme für das Opfer vor weiterer Gefährdung soll im Gesetz verstärkt betont werden, indem insbesondere bei Bestehen einer konkreten Gefahr, dass eine Person neuerlich durch eine vorsätzlich begangene Tat Gewalt oder gefährlicher Drohung ausgesetzt oder in ihrer sexuellen Integrität beeinträchtigt werden könnte, unverzüglich Anzeige an die Kriminalpolizei oder Staatsanwaltschaft erstattet werden soll. Der Schutz des Vertrauensverhältnisses hat in diesem Fall gegenüber dem Schutz des Opfers vor weiterer Gefährdung und damit dem Schutz seiner Gesundheit als höherwertige Güter zurückzutreten. Bei Vorliegen eines konkreten Verdachts, dass ein Minderjähriger Opfer einer derartigen Straftat geworden sein könnte, sollen auch Personen, denen die Pflege und Erziehung oder sonst die Sorge für die körperliche oder seelische Integrität des Minderjährigen obliegt, verpflichtet sein, Anzeige zu erstatten. Erfasst sind etwa KindergärtnerInnen, LehrerInnen oder ÄrztInnen. Ausgenommen soll sein, wer durch eine Strafanzeige sich selbst oder einen familienangehörigen der Strafverfolgung aussetzen würde. Dem Minderjährigen selbst ist eine Anzeigeerstattung oftmals nicht möglich, sodass es Aufgabe der genannten Personen sein muss, zum Schutz des Kindes die geeigneten Maßnahmen zu ergreifen.

Ungeachtet der verstärkten Opferrolle und der besseren Möglichkeit, das Opfer im Strafverfahren zu schützen, muss die besondere Situation eines Kindes berücksichtigt werden, dem es wegen der durch die Tat verursachten Traumatisierung mitunter nicht zumutbar ist, sich den Belastungen eines Strafverfahrens auszusetzen. In diesen Fällen schlägt der Entwurf vor, dass mit der Fortführung des Verfahrens solange zugewartet werden kann, bis das Kind in der Lage ist, über das traumatisierende Erlebnis auszusagen.

Auch in Bezug auf Frauen stellt die Bekämpfung von Gewalt - sei es allgemein, sei es in der Familie oder sonst im sozialen Nahraum - ein zentrales Thema dar. Wiederholt gesetzteGewaltakte sollen in einem eigenen Straftatbestand der "beharrlichen Gewaltausübung" nach § 107b StGB zusammengefasst werden. Durch die Einführung des § 107b StGB könnten über längere Zeit hindurch fortgesetzte Gewaltakte - mit und ohne familiären Kontext - einer neuen strafrechtlichen Bewertung zugeführt und derart der zwischen Täter und Opfer zumeist bestehenden Asymmetrie der Machtverhältnisse angemessen Rechnung getragen werden.

Ende der Begutachtungsfrist ist der 15.06.2007.