16.10.2004 Gesetzgebung

Regierungsvorlage: Strafrechtliches Entschädigungsgesetz 2005


Die Ersatzpflicht des Bundes für die durch eine gesetzwidrige oder ungerechtfertigte strafgerichtliche Anhaltung oder eine strafgerichtliche Verurteilung erlittenen vermögensrechtlichen Nachteile ist derzeit im Strafrechtlichen Entschädigungsgesetz aus dem Jahre 1969 (StEG 1969) geregelt. Die Bestimmungen dieses Bundesgesetzes widersprechen nach der Rechtsprechung des Europäischen Gerichtshofs für Menschenrechte (EGMR) aber teilweise der Europäischen Menschenrechtskonvention (MRK) und zwar hinsichtlich des Art 6 Abs 1 (Verfahrensgarantien) und Abs 2 leg cit (Unschuldsvermutung).So betonte der EGMR, dass es bei einem freisprechenden Erkenntnis mit der Unschuldsvermutung nach Art. 6 Abs. 2 MRK nicht vereinbar sei, wenn im Anschluss an ein solches Erkenntnis für das Prüfen einer Ersatzpflicht iSd StEG der Fortbestand der Verdachtsgründe geprüft oder darüber durch staatliche Organe entschieden werde. Sobald ein Freispruch, und zwar auch ein Freispruch in dubio, rechtskräftig geworden sei, widersprächen jegliche Schuldverdächtigungen einschließlich solcher, die in der Begründung des Freispruchs zum Ausdruck kämen, der Unschuldsvermutung. Kritisch beurteilte der EGMR ferner die Verfahrensbestimmungen des § 6 StEG 1969 und besonders die dort vorgesehene Entscheidung des Strafgerichts über die Anspruchsvoraussetzungen des § 2 und die Ausschlussgründe des § 3: Das Fehlen einer Verpflichtung zur Durchführung einer öffentlichen Verhandlung und zur öffentlichen Verkündung der strafgerichtlichen Entscheidung widerspreche dem Art. 6 Abs. 1 MRK. Soweit ein innerstaatliches, ziviles Recht auf Entschädigung bestehe, bedürfe es zur Sicherstellung eines fairen Verfahrens sowohl der Durchführung einer öffentlichen Gerichtsverhandlung als auch einer öffentlichen Entscheidungsverkündung.Die österreichischen Strafgerichte tragen dieser Rechtsprechung des EGMR zwar durch eine verfassungs- und grundrechtskonforme Auslegung des geltenden Gesetzes Rechnung. Dennoch bedarf auch das geltende Gesetz einer Änderung, um jegliche Zweifel an der Konformität des österreichischen Rechts mit der MRK zu zerstreuen.

Dem Geschädigten soll es in Hinkunft - nach Durchführung eines außergerichtlichen Aufforderungsverfahrens - frei stehen, sich unmittelbar an das Zivilgericht zu wenden und seine Ansprüche einzuklagen. Dabei kann er auch Verfahrenshilfe beantragen und erhalten. Das bisher einem Zivilprozess vorgeschaltete strafrechtliche Verfahren über die Anspruchsvoraussetzungen und die Ausschließungsgründe (§ 6 StEG 1969) soll beseitigt werden. Mit der damit verbundenen Konzentration der Anspruchstellung auf die Zivilgerichte soll das Verfahren im Interesse aller Beteiligten beschleunigt werden. Gleichzeitig wird damit auch der Judikatur des EGMR zu den Verfahrensgarantien des Art. 6 Abs. 1 MRK Rechnung getragen. Letztlich ist es zweckmäßig, zur Entscheidung über den im Kern zivilrechtlichen Entschädigungsanspruch einen anderen Zweig der Gerichtsbarkeit als die Strafgerichte zu berufen.Darüber hinaus soll die Rechtsposition des Geschädigten hinsichtlich der Anspruchsvoraussetzungen und der Ausschlussgründe verbessert werden. Vor allem ist hier die Anspruchsvoraussetzung der Verdachtsentkräftung nach einem freisprechenden Erkenntnis zu erwähnen. Die derzeit geltende Regelung widerspricht nicht nur in Teilen der MRK, sondern hat den Betroffenen aufgrund der damit verbundenen Beweislastverteilung in der Praxis häufig große Probleme bereitet und die Durchsetzung ihrer Ansprüche verhindert. Das Erfordernis der vollständigen Verdachtsentkräftung nach einem Freispruch soll daher entfallen. Es wäre aber nicht sachgerecht, eine Entschädigung in allen anderen Fällen der Einstellung des Verfahrens quasi automatisch ohne nähere Würdigung der konkreten Umstände des Einzelfalls zu gewähren. Vielmehr bedarf es eines Instrumentariums, mit dem unangemessenen und unbilligen Ergebnissen begegnet werden kann. Zu denken ist hier an Fälle, in denen die uneingeschränkte Zuerkennung einer Ersatzleistung etwa im Hinblick auf eine zunächst "drückende" Beweislage oder bei Vorliegen schwerwiegender Haftgründe unverständlich wäre. Derartigen unangemessenen Entschädigungsansprüchen soll mit einer - bisher im Gesetz nicht vorgesehenen - "differenzierten Ermessensklausel" begegnet werden. Eine solche Ermessensregelung sollte auch im Licht der MRK keine Probleme bereiten, zumal die Konvention nach der Rechtsprechung des EGMR die Mitgliedstaaten der Konvention nicht dazu verhält, für die fraglichen Fälle überhaupt eine Entschädigung zu gewähren.

Zusätzlich sollen Geschädigte künftig auch Anspruch auf Ersatz des ideellen Schadens, also auf ein "Schmerzengeld" für den Verlust der persönlichen Freiheit, haben. Der Entwurf sieht für die Höhe dieses Ersatzes aber keine "Deckelung" oder Pauschalierung der Beträge vor. Nur so kann letztlich den konkreten Umständen des Einzelfalls verlässlich Rechnung getragen werden.