23.11.2003 Gesetzgebung

Regierungsvorlage zur Änderung des StGB, der StPO 1975, des GOG u.a. (Strafrechtsänderungsgesetz 2003)


Durch diese Novelle soll im wesentlichen zweierlei bewirkt werden: erstens eine Anpassung an das in unserer Zeit stärker zu respektierendes Recht auf sexuelle Selbstbestimmung und zweitens der verstärkte Schutz Minderjähriger vor sexueller Ausbeutung - letzteres soll durch eine Ausweitung der Tatbestände gegen Kinderpornographie (z.B. auch die Einbeziehung von mündigen Minderjährigen) und des Missbrauchs eines Autoritätsverhältnisses sowie Bestimmungen gegen die Förderung der Prostitution von Minderjährigen und der Mitwirkung von Minderjährigen an pornographischen Darbietungen erreicht werden.

Durch diesen Entwurf werden auch Rechtsakte der Europäischen Union, des Europarats und der Vereinten Nationen umgesetzt. Vor allem unter deren Einfluss werden auch Bestimmungen zur verstärkten Bekämpfung des Menschenhandels vorgeschlagen. Zu den erwähnten internationalen Rechtsakten zählen einerseits das von der Generalversammlung der Vereinten Nationen am 26. Juni 2000 mit Resolution 54/263 angenommene Fakultativprotokoll zum Übereinkommen über die Rechte des Kindes betreffend den Verkauf von Kindern, die Kinderprostitution und die Kinderpornographie sowie andererseits die Cyber-Crime-Konvention des Europarats vom 23. November 2001. Eng verbunden mit Fragen der sexuellen Ausbeutung ist auch das Problem des Menschenhandels, der sich nach der "Öffnung der Ostgrenzen" in Europa zu einem riesigen Geschäftszweig des organisierten Verbrechens entwickelt hat.

Aber auch ein paar kleine technische Anpassungen haben sich mit der geplanten Novelle "eingeschlichen": im Interesse einer wirksamen Verteidigung soll für die Beteiligung des Beschuldigten an einer kontradiktorischen Vernehmung nach § 162a StPO notwendige Verteidigung (§ 41 Abs. 1 Z 2a StPO) eingeführt und klargestellt werden, dass für Besprechungen zwischen einem Verfahrenshilfe- oder Pflichtverteidiger und fremdsprachigen Beschuldigten ein Dolmetscher beigezogen werden kann, dessen Gebühren das Gericht bestimmt.

Im AHRG wird das Verfahren zur Bewilligung der Auslieferung eines Betroffenen im Hinblick auf das Erkenntnis des VfGH vom 12. Dezember 2002, G 151, mit dem der zweite Satz im § 33 Abs. 5 ARHG aufgehoben wurde, neu gestaltet. Außerdem gibt es eine kleine "Modernisierung" des Strafvollzugs.

Wesentliche inhaltliche Änderungen des StGB:

Durchgehende geschlechtsneutrale Fassung der Tatbestände bzw. zeitgemäße Fassung der Begriffe "Sittlichkeit", "Unzucht" oder "gewerbsmäßige Unzucht"

"Modernisierung" der §§ 100 und 101 (jetzt: "Entführung einer geisteskranken oder wehrlosen Person")

Einführung eines neuen § 104a, der den Menschenhandel zum Zweck der sexuellen Ausbeutung, der Ausbeutung durch Organentnahme und der Ausbeutung der Arbeitskraft unter Sanktion stellt und als Opfer sowohl auf Minderjährige aber auch auf Volljährige, wenn unlautere Mittel angewendet werden, abzielt. Unlautere Mittel sind die Täuschung über Tatsachen, die Ausnützung einer Autoritätsstellung, einer Zwangslage, einer Geisteskrankheit oder eines Zustands, der die Person wehrlos macht, die Einschüchterung und die Gewährung oder Annahme eines Vorteils für die Übergabe der Herrschaft über die Person

Anpassungen im Bereich der schweren Nötigung nach § 106 StGB (die an ein weibliches Opfer gebundenen Tatbegehungsarten werden u.a. geschlechtsneutral formuliert)

§ 194 (neu) gegen die verbotene Vermittlung von Kindesadoptionen

Aufhebung der Unterscheidung zwischen Vergewaltigung unter Anwendung von schwerer Gewalt bzw. Drohung mit schwerer Gefahr für Leib oder Leben einerseits und unter Anwendung von sonstiger Gewalt, Freiheitsentzug bzw. Drohung mit Gefahr für Leib oder Leben andererseits

Anhebung der Strafdrohung in § 202 (geschlechtliche Nötigung) zur Beseitigung von Wertungswidersprüchen zu § 106

Beseitigung der Privilegierung für Vergewaltigung und geschlechtliche Nötigung in Ehe oder Lebensgemeinschaft

Der Tatbestand der "Schändung" (§ 205) lautet nun "Sexueller Missbrauch einer wehrlosen oder psychisch beeinträchtigten Person" (auch hier fällt also die Voraussetzung des weibl. Geschlechts des Opfers weg)

Neufassung von § 207a zur Einbeziehung von Darstellungen mündiger Minderjähriger in eine umfassendere Kriminalisierung von Verhaltensweisen im Zusammenhang mit Kinderpornographie samt Anhebung der Strafdrohung für Besitz und Schaffung weiterer Qualifizierungen

Verlängerung der Verjährungsfrist gemäß § 58 Abs. 3 Z 3 (Beginn der Verjährungsfrist erst ab Volljährigkeit) auch im Fall des § 207b (sexueller Missbrauch von Jugendlichen)

Einfügung einer Alterstoleranzklausel in § 208 (Sittliche Gefährdung von Personen unter sechzehn Jahren) für bestimmte Fälle

Ausweitung des § 212 Abs. 1 (Missbrauch eines Autoritätsverhältnisses) auf den Missbrauch durch Großeltern und Ergänzung des § 212 Abs. 2 Z 1 um außerhalb von Krankenanstalten tätige Ärzte sowie klinische Psychologen, Gesundheitspsychologen, Psychotherapeuten, Pflegepersonal und andere Gesundheitsberufe unter Entfall der Beschränkung auf Anstaltspatienten

Modernisierung der §§ 213 bis 215 - statt "Unzucht" heißt es nun dort "geschlechtliche Handlung" und die Überschrift zu § 214 lautet "Entgeltliche Vermittlung von Sexualkontakten mit Minderjährigen" (auch hier wird der Text adaptiert)

Schaffung einer neuen Strafbestimmung gegen Anwerben, Anbieten und Vermitteln von Minderjährigen zur Prostitution oder zur Mitwirkung an pornographischen Darbietungen bzw. deren Ausnützen

Ausweitung der extraterritorialen Gerichtsbarkeit nach § 64 Abs. 1 Z 4a auf § 207b Abs. 2 und 3 (unter Zwang oder gegen Entgelt) sowie § 215a (neu) ("Förderung der Prostitution und pornographischer Darbietungen Minderjähriger")

Anhebung der Strafdrohungen in § 216 (Zuhälterei) und entsprechende Anpassung des § 217

Umgestaltung des § 218 in eine Strafbestimmung gegen sexuelle Belästigung von Einzelpersonen, wobei die Verfolgung nur auf Antrag der belästigten Person erfolgen soll.

Aufhebung des nicht mehr zeitgemäßen § 219.

Wesentliche inhaltliche Änderungen des StPO und des GOG:

Aufnahme von § 207a Abs. 3 StGB in den Katalog jener Delikte, die trotz ihrer Strafdrohung nicht der sachlichen Zuständigkeit der Bezirksgerichte unterliegen

Anpassung der Zuständigkeitsbestimmung des § 13 Abs. 2 Z 4 StPO sowie der §§ 26 Abs. 6 und 32 Abs. 5 GOG im Hinblick auf die materiellrechtlichen Änderungen der §§ 201 und 205 StGB

Klarstellung, dass Verfahrenshilfe- und Pflichtverteidiger für ihre Besprechungen mit einem nicht deutschsprachigen Beschuldigten einen Dolmetscher beiziehen können, der seine Gebührenansprüche gegenüber dem Gericht geltend zu machen hat (§§ 38a Abs. 2 und 393 Abs. 2 StPO)

Einführung der notwendigen Verteidigung für die Beteiligung eines Beschuldigten an einer kontradiktorischen Vernehmung und Anhebung des Entlohnungsanspruchs für die Pflichtverteidigung (§§ 41 Abs. 1 Z 2a, 162a Abs. 1 und 393 Abs. 3 StPO)

Wesentliche inhaltliche Änderungen des StVG:

Änderung der Anrechnungsregel in § 6 Abs. 1 vorletzter Satz zur Hintanhaltung von in der Praxis immer wieder aufgetretenen Fehlern bei der Berechnung der Frist zur Gewährung des Strafaufschubs.

Ermöglichung der Aufnahme von rechtskräftigen (und anonymisierten) Entscheidungen in die Entscheidungsdokumentation Justiz (§ 11h).

Neufassung der Regelung über die Löschung von Daten aus der automationsunterstützten "integrierten Vollzugsverwaltung" (§ 15c).

Ermöglichung der bedingten Nachsicht bzw. nachträglichen Milderung auch von im Verfahren wegen Ordnungswidrigkeiten verhängten Geldbußen (§ 116).