17.10.2003 Gesetzgebung

Regierungsvorlage zur Änderung des Außerstreitgesetzes (AußStrG 2003) - 1. Teil


Die Legisten haben sich (nach den Umstrukturierungen des strafrechtlichen Vorverfahrens, der grundlegendes Umgestaltung des HGB in ein "Unternehmer - Gesetzbuch" etc. ...) diesmal das AußSrtG vorgenommen, um es an die neuen rechtsstaatlichen Anforderungen des 21. Jahrhunderts anzupassen. Dieses Vorhaben soll aber nicht darüber hinwegtäuschen, dass (von der generellen immer unübersichtlicher werdenden Gesetzesflut selbst einmal abgesehen) in den meisten Fällen, in denen ein "Verfall des Rechtsstaates" beklagt wird, des Pudels Kern in der Rechtsprechung bzw. Vollziehung der Gesetze - nicht so sehr in den Normen selbst zu suchen ist.

Dennoch: Ziel des AußStrG 2003 ist eine Anpassung der in ihren Grundzügen aus dem Jahr 1854 stammenden Gesetzesmaterie an die Anforderungen des modernen Rechtsstaates. Insbesondere sind es die 19 Paragraphen des lückenhaft geregelten allgemeinen Teils, die als überholt gelten. Das geltende AußStrG war eben von jeher im Grunde nur eine eilige Kompilation der langjährigen Übung im Bereich des außerstreitigen Verfahrens und keineswegs das Ergebnis eines wohlüberlegten und lange durchdiskutierten Kodifikationsprozesses.

Die Regelungsdefizite wurden von der Rechtsprechung durch Analogie zur Zivilprozessordnung zu lösen versucht, was zum Ergebnis hatte, dass die Judikatur Gesetzgeber spielte, um die Wertungsdifferenzen zu Art 18 B-VG und Art 6 EMRK - etwa indem der OGH eine Umwürdigung von in erster Instanz unmittelbar gewonnenen Beweisen ohne Rekursverhandlung ablehnt, obwohl im Gesetz gar keine Rekursverhandlung vorgesehen ist oder eine Rekursbeantwortung verlangt - auszugleichen.

Kleines Bonmot am Rande: einer der ersten Reformversuche 1902 scheiterte daran, Sektionschef Franz Klein, der Schöpfer der Zivilprozessordnung, meinte, dass die Gegensätze zwischen den Interessen der Notare und der Advokaten in diesem Gebiete größer und schärfer seien als im Prozess, und kam zu dem Schluss, dass er keine Verantwortung dafür übernehmen könne, dass die Einleitung von Beratungen über das Verfahren außer Streitsachen ohne Beunruhigung dieser Berufsstände und der damit verbundenen parlamentarischen Kreise vor sich gehen werde.

Daher blieb es bis heute bei folgenden (mehr oder weniger punktuellen) Reformschritten:

- Vereinfachung des Verfahrens Außerstreitsachen (1923)- Einfügung der Hauptstücke über das Verfahren in Eheangelegenheiten und über die Bestellung der Sachwalter für Behinderte- Neuregelung der Anrufbarkeit des OGH durch die erweiterten Wertgrenzen-Novellen 1989 und 1997).

Dies fällt umso schwerer ins Gewicht, als im außerstreitigen Verfahren zum überwiegenden Teil privat- und familienrechtliche Rechtsbeziehungen zu regeln beziehungsweise zu entscheiden sind.

Der vorliegende Entwurf will daher im Sinne einer Gesamtreform des Außerstreitgesetzes die bestehenden Regelungsdefizite beseitigen, indem er dem Art 6 EMRK genügende Normen über die Sicherstellung des rechtlichen Gehörs, das Beweisverfahren, und das Rechtsmittelverfahren vorsieht sowie die Umschreibung des Parteibegriffes und die Einführung der Rechtsinstitute der Unterbrechung, des Ruhens und des Innehaltens des Verfahrens sowie des Abänderungsverfahrens ins AußStrG bringt. Ferner werden generelle Regelungen über die Vertretungspflicht und den Kostenersatz eingeführt.

Die wesentlichen Inhalte der Reform im Allgemeinen Teil:

- Abgehen von einer Globalverweisung auf den Zivilprozess (einzelne Verweisungen wird es natürlich auch weiterhin geben):Einführen einer neuen Verweisungstechnik: wird im Allgemeinen Teil des AußStrG auf verfahrensrechtliche Institute der ZPO (z.B.: Wiedereinsetzung) verwiesen, so soll damit grundsätzlich nur auf das Rechtsinstitut und die dort - in Abweichung von den allgemeinen Regeln der ZPO - festgelegten Sondervorschriften (hinsichtlich Fristen, Kosten, Anfechtbarkeit, usw.) als lex specialis verwiesen werden, nicht jedoch auch auf die allgemeinen Regeln der ZPO in diesem Bereich. Für das Beispiel der Wiedereinsetzung bedeutet dies, dass zwar die Rechtsmittelbeschränkung des § 153 ZPO gilt, nicht jedoch die allgemeine Regel des § 528 Abs. 2 Z 2 ZPO, wonach gegen bestätigende Entscheidungen der zweiten Instanz über die Verweigerung der Wiedereinsetzung ein Revisionsrekurs unzulässig ist.

- Kodifizierung bewährter Verfahrensgrundsätze

- Beibehaltung eines Allgemeinen Teils mit folgenden wesentlichen Neuerungen:

+ Neue Definition des Parteibegriffs (es wird sowohl auf die formale Parteistellung als auch auf die materielle Bedacht genommen - auch die so genannten Amtsparteien werden definiert und klargestellt, dass in jenen Fällen, in denen nur eine "Anregung" in Betracht kommt, eine Parteistellung nicht gegeben ist (so z.B.: die "Anregung" eines Dritten, einen Sachwalter für eine behinderte Person zu bestellen).

+ Wird ausschließlich eine Geldleistung begehrt, wird zunächst kein ziffernmäßig bestimmtes Begehren gefordert - sobald aber die Verfahrensergebnisse eine ziffernmäßige Präzisierung zulassen, soll die Partei vom Gericht unter Setzung einer angemessenen Frist aufzufordern sein, ihr Begehren ziffernmäßig zu präzisieren. Kommt sie dem nicht nach, ist ihr Antrag zurückzuweisen. Auf diese Rechtsfolge ist die Partei ausdrücklich hinzuweisen.

+ Normierung einer besonderen richterlichen Anleitungs- und Belehrungspflicht

+ Sicherstellung des rechtlichen Gehörs - die Abhaltung von Tagsatzungen soll aber nicht zwingend vorgesehen werden - den Parteien muss Gelegenheit gegeben werden, über den Anlass und den Inhalt eines amtswegig eingeleiteten Verfahrens sowie die gerichtlichen Erhebungen Kenntnis zu erhalten und dazu Stellung zu nehmen. Gleiches gilt für Verfahren, die nur auf Antrag eingeleitet werden können, hinsichtlich der Anträge und Vorbringen der anderen Parteien sowie des Inhalts der gerichtlichen Erhebungen. Damit im Zusammenhang steht auch die Einführung der generellen Zweiseitigkeit des Rechtsmittels gegen Entscheidungen über die Sache sowohl in zweiter als auch in dritter Instanz.

+ Vertretungspflicht: im erst- und zweitinstanzlichen Verfahren wird keine absolute, in zweiter Instanz aber eine relative Vertretungspflicht vorgesehen. In dritter Instanz (einschließlich der Zulassungsvorstellung) wird aus Gründen des Rechtsschutzes grundsätzlich eine absolute Vertretungspflicht vorgeschlagen.

+ Notare können nach dem Entwurf in den Fällen der reinen Anwaltspflicht, sei es nun eine relative oder absolute Anwaltspflicht, nur unter den sehr eingeschränkten Voraussetzungen des § 5 Abs. 2 NO vertreten.

+ Volksöffentlichkeit der mündlichen Verhandlung - die Öffentlichkeit ist aber auf Antrag einer Partei aus berücksichtigungswürdigen Gründen (insbesondere wenn Tatsachen des Familienlebens erörtert werden) auszuschließen. Die Partei darf dann aber eine Vertrauensperson beiziehen.

+ Grundsatz der amtswegigen Sachverhaltserhebung, den Parteien werden aber entsprechende Mitwirkungspflichten auferlegt.

+ Normierung klarer Säumnisregeln

+ Verweis auf die ZPO Regelungen in Sachen der Protokoll- und Aktenführung, der Sitzungspolizei, Verfahrenshilfe, Fristen sowie die Zustellung

+ Einführung der Möglichkeit einer Unterbrechung und eines Ruhens des Verfahrens ins AußStrG

+ Einführung der sog "Innehalten des Verfahrens" in den Fällen, in denen berechtigte Hoffnung besteht, dass sich die Gesprächsbereitschaft zwischen den Parteien verbessert, wenn sie sich an eine dafür geeignete Stelle wenden. Diese Bestimmung soll nicht nur die Einführung der Mediation im Rahmen des gerichtlichen Verfahrens, sondern etwa auch die Inanspruchnahme einer Familienberatungsstelle oder ähnlicher Institutionen ermöglichen

+ Wegfall des Rechtsmittels der Vorstellung und der Verweisung auf den Zivilrechtsweg

+ Die Umwürdigung eines von der ersten Instanz aufgenommenen Beweises durch die zweite Instanz soll nicht auf Grund der Aktenlage allein, sondern nur auf Grund einer Beweiswiederholung durch das Rekursgericht möglich sein.

+ Grundsätzlich soll die Wirksamkeit bzw. Vollstreckbarkeit von Beschlüssen mit deren Rechtskraft eintreten mit der Möglichkeit, einem Beschluss die sofortige Wirksamkeit zuzusprechen.

+ Einführung einer generelle Bestimmung über die Kostenersatzpflicht ins AußStrG - grundsätzlich wird die Ersatzpflicht für alle zur zweckentsprechenden Rechtsverfolgung notwendigen Kosten, also auch tarifmäßige Vertretungskosten, vorgesehen, wobei generell der Verfahrenserfolg maßgebend ist.

+ Einführung des sog. Abänderungsverfahrens - dieses entspricht der Wiederaufnahms- und Nichtigkeitsklage der Zivilprozessordnung

+ Neufassung der Bestimmungen über die Zwangsmaßnahmen und die Vollstreckung außerstreitiger Entscheidungen